Gastbeitrag
So macht die Autoindustrie den Schwerlastverkehr klimaneutral
Von Andreas Rade, VDA-Geschäftsführer Politik & Gesellschaft
Von Andreas Rade, VDA-Geschäftsführer Politik & Gesellschaft
Erschienen am 15. Mai 2024 bei Tagesspiegel Background
Auch beim klimafreundlichen Schwerlastverkehr gilt: Das Zusammenspiel zwischen Industrie und Politik entscheidet über den Erfolg. Während unsere Unternehmen ihre Aufgaben entschlossen angehen, sind Berlin und Brüssel bei den Rahmenbedingungen im Rückstand. Weil die Politik die Umsetzung der sauberen Mobilität behindert, gefährdet sie die Erreichung der ambitionierten Klimaziele.
Knapp 30 Prozent der CO₂-Emissionen auf Europas Straßen werden durch den Schwerlastverkehr verursacht. Diese Zahl zeigt, welch große Bedeutung Lkw und Busse haben, wenn es um die Erreichung der Klimaschutzziele im Straßenverkehr geht. Klimaneutrale Mobilität kann ohne den Beitrag von Lkw und Bussen nicht gelingen, und genau darum geht es jetzt! Die Erfolgsformel ist sehr einfach: Fahrzeuge, Infrastruktur, Gesamtkosten. Wo das passt, funktioniert es. Wo ein Bestandteil fehlt, stockt es.
Die Fahrzeuge sind da. Vom städtischen Nutzverkehr bis zum Fernverkehr. Vom Bus im Linienverkehr bis zum Reisebus. Die deutsche Automobilindustrie treibt die Entwicklung alternativ betriebener Lkw und Busse weiter entschlossen mit Innovationen und Investitionen voran. Sie setzt dabei auf den Wettbewerb der Technologien – batterieelektrische Antriebe sowie solche mit Wasserstoff werden eine entscheidende Rolle spielen. Hinzu kommen erneuerbare und CO₂-neutrale Kraftstoffe, die schwere Nutzfahrzeuge im Bestand defossilisieren können.
Die Branche geht in allen Bereichen voran: Technisch werden gerade alle Potenziale auch jenseits des Antriebs gehoben. Zum Beispiel lassen sich bei Lkw-Anhängern durch Leichtbau, geringeren Rollwiderstand und bessere Aerodynamik die CO₂-Emissionen des gesamten Gespanns nachhaltig reduzieren. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz von Lang-Lkw: Zwei Lang-Lkw-Fahrten ersetzen drei Fahrten mit einem herkömmlichen Lkw – die Effizienzgewinne und Kraftstoffersparnisse liegen hier bei bis zu 25 Prozent.
Hemmschuh Infrastruktur
Zweifellos sind unsere Unternehmen in all diesen Bereichen weltweit führend. Sie bieten bereits für die verschiedensten Anwendungsbereiche Lkw und Busse an, die batterieelektrisch oder mit Wasserstoff fahren – und das mit Reichweiten von 600 bis 800 Kilometern. Zudem kommen in den nächsten Jahren weitere Modelle auf den Markt, die die emissionsfreie Mobilität auf der Langstrecke weiter vorantreiben. Das heißt: Der klimaneutrale Nutzverkehr auf der Straße ist keine Utopie mehr und sieht deutsche Anbieter weltweit führend.
Klingt alles erfolgversprechend – die Erfolgsgeschichte könnte jetzt also ihren Lauf nehmen. Könnte! Denn die Leistungen und Innovationen unserer Industrie sind nur einer der genannten Bausteine für die klimaneutrale Zukunft. Die Rahmenbedingungen, für die Brüssel und Berlin verantwortlich sind, müssen genauso stimmen. Es muss ermöglicht werden, dass unsere Produkte auf die Straße kommen, dass Speditionen die entsprechenden Investitionen tätigen, ohne sich Sorgen zu machen, ob ihre neue Flotte problemlos unterwegs sein kann. Der Blick auf die aktuelle Situation zeigt allerdings:
Es gibt aktuell keine Elektrolade- und Wasserstoffbetankungsinfrastruktur für schwere Nutzfahrzeuge – und das gilt leider für ganz Europa. Hier gibt es dringenden Nachholbedarf, wenn die jüngst in der EU beschlossenen ambitionierten CO₂-Reduktionsziele für Lkw und Busse erreicht werden sollen. Denn die völlig unzureichende Infrastruktur beim Laden beziehungsweise Tanken hemmt den dringend benötigten Markthochlauf von alternativ angetriebenen schweren Nutzfahrzeugen. Sie hemmt die Kunden, sich für die neuen Modelle zu entscheiden – auch wenn sie das gern würden.
Dazu muss man verstehen: Lkw und Busse sind für die Spediteure und Betreiber vor allem ein Arbeitsmittel. Ein Mittel zum Zweck. Sie müssen damit Geld verdienen, und in der hart umkämpften Branche geht es bei jedem Kilometer um jeden Cent. Wer lange Standzeiten hat oder Umwege fahren muss, um sein Fahrzeug aufzuladen oder mit Wasserstoff zu betanken, der kann wirtschaftlich nicht bestehen. Solange es also keine flächendeckende und leistungsstarke Elektrolade- und Wasserstofftankinfrastruktur für schwere Nutzfahrzeuge in ganz Europa gibt, wird sich CO₂-freier Schwerlastverkehr nicht durchsetzen können.
Für die Politik gilt es jetzt, in ganz Europa konsequent den Ausbau eines dichten Netzes von Elektrolade- sowie Wasserstofftankstellen für schwere Nutzfahrzeuge voranzutreiben. Nur so kann der Markthochlauf alternativ angetriebener Lkw und Busse gelingen – und deren großes Potenzial für den Klimaschutz gehoben werden. Berlin und Brüssel dürfen keine Zeit mehr verstreichen lassen.
Diese notwendige Entschlossenheit ist noch nicht erkennbar: Bei der EU-Verordnung AFIR, die den Ladenetzausbau in der EU regelt, hätten wir uns als Automobilindustrie mehr Ambition gewünscht. Umso wichtiger ist es nun, dass die Staaten nicht auch noch hinter den gesteckten Zielen zurückbleiben. Es muss deshalb regelmäßig überprüft werden, wo die einzelnen Staaten beim Aufbau der Infrastruktur stehen, damit – wo nötig – nachgebessert werden kann. Dem von der EU für 2027 geplanten Review kommt deswegen große Bedeutung bei, um die Entwicklung der Ladeinfrastruktur genau zu analysieren und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.
Stromnetz hat Schlüsselrolle
Ein E-Ladepark für Lkw und Busse braucht oftmals den Stromanschluss einer Kleinstadt. Der heutige Anschluss eines gewöhnlichen Autobahnrastplatzes kann das nicht leisten. Deshalb müssen die Stromnetze dringend ausgebaut werden. Anders formuliert: Mit einem leistungsfähigen Stromnetz steht und fällt der CO₂-freie Schwerlastverkehr – und damit auch die Klimaziele.
Es geht jedoch nicht allein um den Auf- und Ausbau öffentlicher Netze. Vielmehr wird der Mix aus öffentlichen und privatwirtschaftlichen E-Lade- und Wasserstoffbetankungsmöglichkeiten für schwere Nutzfahrzeuge zum Erfolg führen. Denn Elektromobilität wird dann für einen Spediteur attraktiv, wenn er seinen E-Lkw sowohl bei sich im Depot als auch an der Autobahn sowie beim Ziellogistikzentrum in kürzester Zeit aufladen kann.
Natürlich gilt auch für das Laden in Depots und Logistikzentren: Der Ausbau der Stromnetze ist unabdingbar. Es kann nicht sein, dass Spediteure von ihren lokalen Stromversorgern die Nachricht bekommen, dass ein entsprechender Ausbau für die E-Lkw-Flotte mehrere Jahre beanspruchen würde. Hier zeigt sich, wie ernst es Berlin mit dem Deutschland-Tempo meint.
Insgesamt wird deutlich: Das Zusammenspiel zwischen Industrie und Politik entscheidet über den Erfolg des klimafreundlichen Schwerlastverkehrs. Während unsere Unternehmen ihre Aufgaben entschlossen angegangen sind und ihre Lösungen stetig weiterentwickeln, sind Berlin und Brüssel bei den Rahmenbedingungen im Rückstand, gefährden zunehmend die Erreichung der ambitionierten Ziele, weil die Umsetzung nicht ermöglicht wird.
Flächendeckende Elektrolade- und Wasserstofftankinfrastruktur, leistungsfähige Stromnetze und ausreichend klimaneutrale Energie – das sind alles keine neuen Forderungen und Aufgabenstellungen. Es braucht viel mehr Entschlossenheit mit Blick auf internationale Partnerschaften, um unsere Energie- und Rohstoffversorgung abzusichern. Europa braucht in jedem Fall eigene Produktionskapazitäten für Batterien, an deren Aufbau gerade gearbeitet wird.
CO2-Reduktion durch Digitalisierung
Längst hat die Nutzfahrzeugbranche auch die Potenziale der Digitalisierung für sich erkannt. Technologien wie das automatisierte Fahren tragen maßgeblich zu einem effizienteren und klimaschonenden Transport bei, ebenso wie digital vernetzte Logistikkonzepte. Digitalisierte Lkw und Busse steigern Effizienz, senken Kosten und machen gleichzeitig den Transport auf der Straße nachhaltiger und sicherer.
Voraussetzung dafür ist eine sichere und zuverlässige digitale Infrastruktur. Das fängt bei intelligenten Ampelanlagen und Verkehrsleitsystemen an und basiert vor allem auf einem flächendeckenden 5G-Netz – ohne Lücken. Die Politik muss handeln: Eine veraltete Infrastruktur darf nicht zur Bremse für moderne, nachhaltige Mobilität werden.
Es gilt, jetzt anzupacken: Die Innovationen der deutschen Hersteller und Zulieferer stehen bereit. Und auf der IAA Transportation im September in Hannover wird die Branche zeigen, wie klimaneutraler Transport in Zukunft aussehen kann und wird. Damit Deutschland und Europa in diesem Bereich tatsächlich global führend sein können und unser Ansatz weltweit als Blaupause betrachtet wird, gilt jetzt: Wir dürfen unsere Poleposition nicht verspielen.