







Forum Automobillogistik 2025
„Wir müssen Antworten auf die vielen strukturellen Veränderungen finden“
Interview mit Simon Motter, Vorsitzender der Geschäftsführung der Volkswagen Konzernlogistik GmbH & Co. OHG, über aktuelle Herausforderungen und Chancen in der Automobillogistik
Interview mit Simon Motter, Vorsitzender der Geschäftsführung der Volkswagen Konzernlogistik GmbH & Co. OHG, über aktuelle Herausforderungen und Chancen in der Automobillogistik
Herr Motter, über welche konkreten Themen haben Sie abseits des Podiums auf dem FAL 2025 diskutiert?
Simon Motter: Ein wiederkehrendes Thema war – wie kaum anders zu erwarten – die Resilienz von Unternehmen und Gesellschaften in Zeiten wachsender Unsicherheiten. Dabei fiel das Stichwort BANI, das für die Begriffe Brittle, Anxious, Nonlinear und Incomprehensible steht (Anm. d. Red.: siehe Hinweis unter dem Interview) ebenso häufig wie die Diskussion um die Wiederwahl von Donald Trump. Natürlich stand auch die Situation der Automobilindustrie in Deutschland und Europa im Mittelpunkt. Viele meiner Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner waren zudem besorgt über die zunehmenden Extremwetterereignisse. Diese Phänomene zwingen uns, unsere Strategien zur Anpassung und Krisenbewältigung kontinuierlich zu überdenken und anzupassen.
Beim „Coffee Talk“ haben Sie gemeinsam mit Kai Althoff (Bundesvereinigung Logistik e.V.), Marcus Schick (Robert Bosch GmbH) und Andreas Koetz (ZF Group) aktuelle Herausforderungen der Logistikbranche diskutiert. Wo sehen Sie die größten Handlungsschwerpunkte?
Simon Motter: Wir müssen vor allem Antworten auf die vielen strukturellen Veränderungen finden, die um uns Logistiker herum geschehen. Ich will Ihnen zwei Beispiele geben:
Sehen Sie nur auf den Technologiewandel vom Verbrennermotor zum Elektrofahrzeug. Da verändert sich nicht nur das Gewicht der Fahrzeuge ein wenig, sondern in der Logistik für die Komponenten und Teile auch eine ganze Menge mehr. Batterien sind Gefahrgut und Schwergut und können somit effizient nur auf der Schiene transportiert werden – deshalb gilt es, sich gut aufzustellen für die Zukunft mit allen Hürden und Herausforderungen, die wir derzeit erleben. Wir designen hier gesamte Lieferketten und Transportketten neu für diesen Technologiewandel.
Die geopolitischen Verschiebungen verlangen aber genauso nach Anpassung in der Logistik. Höhere Zölle oder möglicherweise sogar Importbeschränkungen wirken sich auf den globalen Handel und die Logistikketten aus, ganz zu schweigen von den Einschränkungen aus bewaffneten Konflikten. Hier gilt es, Konzepte zu entwickeln, mit denen wir schnell auf Veränderungen reagieren können, ohne dass uns die Kosten explodieren.
Wie gehen Sie gemeinsam mit Ihrem Team vor, um die Herausforderungen zu lösen?
Simon Motter: Leider gibt es da aus meiner Sicht kein Allheilmittel für ein so komplexes Geflecht aus Herausforderungen. Was uns als Team aber gut hilft, dieses komplexe Gefecht zu managen, ist, mit einer guten Steuerungsmethodik die Vielzahl der kurzfristigen und längerfristigen Einflussfaktoren auf uns und unser Netzwerk gut im Blick zu haben: Das geht von daily Stand-Ups zur operativen Situation des Tages, über das Tracking von taktischen Themen in einer etablieren Gremienstruktur und ein OKR-Tracking (Anm. d. Red.: siehe Erklärung unter dem Interview) bis hin zur systematischen Identifikation langfristiger Stellhebel und Ableitung von Handlungsfeldern in unserem Logistiknetzwerk.
Haben Sie dazu einen Rat für andere Unternehmen?
Simon Motter: Für uns alle in der Automobillogistik wird es wichtiger denn je sein, kreative und neue Konzepte zu entwickeln. Mit alten Antworten werden wir neue Fragen nicht beantworten können. Informationen müssen in der Lieferkette und in den Organisationen der beteiligten Partner noch schneller fließen als bisher, weil sich die jeweilige Situation auch schneller und unerwarteter verändern kann als früher. Außerdem wird es wichtig, nicht mehr nur in üblichen Flexibilitätsgrenzen bei Transportvolumen zu denken, sondern von vornherein konkrete Szenarien ausgearbeitet zu haben, die dann je nach Lage zum Einsatz kommen.
Ich rate allen, die Veränderungen um uns herum als Chance zu begreifen, uns selbst zu verändern und zu erneuern. Die Unternehmen, die diese Veränderung schnell und mutig angehen, werden aus meiner Sicht langfristig die erfolgreicheren sein.
Möchten Sie noch einen wichtigen Aspekt ergänzen?
Simon Motter: Wer mich kennt, weiß, dass mir Klimaschutz wichtig ist. Daher zwei Gedanken dazu:
Extremwetterereignisse nehmen durch die Klimaerwärmung zu, wie zum Beispiel das tragische Hochwasser in Spanien 2024 oder die jährlich stärker werdende Hurrikansaison im Nordatlantik. Das bedeutet erhöhte Lieferzeiten und geringere Planbarkeit in den Transportströmen. Als Konsequenz ist deshalb Krisenmanagement eine Kernaufgabe und inzwischen leider eine Regelaufgabe, die top funktionieren muss.
Auf der anderen Seite sind wir natürlich aber auch Mitverursacher dieser Klimaerwärmung und tragen daher Verantwortung in der Reduktion unseres Treibhausgasausstoßes. Mehr Investitionen in die CO2-Reduktion in der Logistik sind notwendig, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Technologien wie BEV-Trucks stehen in den Startlöchern und Energieträger wie HVO (Hydrotreated Vegetable Oil – hydrierte Pflanzenöle) und BioLNG (Liquefied Natural Gas – regenerativ erzeugtes, verflüssigtes Methan), die wir in der Logistik des Volkswagen Konzerns als Übergangslösungen ansehen, sind bereits breiter verfügbar. Die Infrastruktur, insbesondere für BEV-Trucks, muss jedoch noch deutlich schneller wachsen. Wir müssen clevere Konzepte finden, wo es heute schon – oder zumindest annähernd – wirtschaftlich ist, Erfahrungen mit der Technologie zu sammeln. Denn der Einsatz von Elektro-Lkw ist langfristig der wichtigste Hebel, um die CO2-Emissionen im Straßentransport zu reduzieren (Anm. d. Red.: Bitte beachten Sie den Hinweis unter dem Interview).
Hinweis zu BANI-Modell: Das BANI-Modell setzt sich aus den Begriffen Brittle (brüchig), Anxious (ängstlich), Non-linear (nichtlinear) und Incomprehensible (unverständlich) zusammen. Das Konzept wurde entwickelt, um die aktuellen Entwicklungen in der Welt zu veranschaulichen. Das BANI-Modell bietet eine neue Perspektive auf die Herausforderungen – beschrieben mit den Begriffen Brüchigkeit, Ängstlichkeit, Nicht-Linearität und Unverständlichkeit – denen Unternehmen und Menschen heute gegenüberstehen. Das Modell unterstützt dabei, die Komplexität und Unsicherheiten der modernen Arbeitswelt zu erfassen und bietet Ansätze, um mit diesen Herausforderungen umzugehen.
Hinweis zu OKR-Tracking: „OKR“ steht für die Begriffe „Objectives“ und „Key Results“. Objectives stehen für Ziele, die sich ein Unternehmen setzt. Key Results stehen für messbare Ergebniskennzahlen. Vereinfacht ausgedrückt ist OKR eine Managementmethode für Teams und Einzelpersonen, mit der sie den Fortschritt verfolgen, eine Ausrichtung schaffen und das Engagement für messbare Ziele fördern können.
Hinweis zu Nutzfahrzeugen: Neben BEV-Trucks sind in der Flottenregulierung auch Trucks mit Wasserstoff-Brennstoffzelle und Wasserstoff-Motor als Null-Gramm-Fahrzeuge genannt. Der VDA setzt sich hier für den Hochlauf ein. Zudem macht die AFIR (Siehe dazu 10 Punkte Plan | VDA und das Grundsatzpapier Straßentransport von morgen) Vorgaben für Wasserstofftankstellen, weshalb es hier eine Verpflichtung gibt, diese Tankstellen und damit die Infrastruktur zu errichten.
Bildnachweis: Christian Lietzmann
