Halbleiter

    „Zeitgemäße Komponentenlogistik umfasst das gesamte Beschaffungsmanagement“

    Interview mit Maximilian Krane, Geschäftsführer und CEO von btv technologies GmbH, über die aktuelle Situation des Halbleitermarktes in Deutschland und den Ansatz „Komponentenlogistik as a Service“ im Kontext komplexer werdender Anforderungen an die Komponentenlogistik

    Interview mit Maximilian Krane, Geschäftsführer und CEO von btv technologies GmbH, über die aktuelle Situation des Halbleitermarktes in Deutschland und den Ansatz „Komponentenlogistik as a Service“ im Kontext komplexer werdender Anforderungen an die Komponentenlogistik

    Herr Krane, wie gestaltet sich aktuell der Halbleitermarkt in Deutschland?

    Maximilian Krane: Der Halbleitermarkt in Deutschland gestaltet sich aktuell sehr dynamisch. Nach einer längeren Phase der Knappheit erleben wir derzeit eine Entspannung, aber auch neue Herausforderungen. Der Markt wird voraussichtlich im dritten Quartal 2025 wieder anziehen, mit einem prognostizierten Wachstum von 15 Prozent weltweit. In Deutschland sehen wir eine steigende Nachfrage nach hochwertigen, leistungsstarken und energieeffizienten Halbleitern. Die Automobilindustrie und der Industriesektor sind dabei – trotz der gesamtwirtschaftlichen Lage – wichtige Treiber. Besonders im Automobilsektor sehen wir eine verstärkte Nachfrage nach spezialisierten Halbleitern für Elektrofahrzeuge, autonomes Fahren und vernetzte Fahrzeugsysteme. Diese Entwicklung stellt die Lieferketten vor neue Herausforderungen, da die Komplexität und die Vielfalt der benötigten Komponenten zunehmen.

    Gleichzeitig beobachten wir einen Trend zu mehr Nachhaltigkeit in der Halbleiterproduktion, was sich in der Entwicklung energieeffizienterer Chips und umweltfreundlicherer Herstellungsprozesse widerspiegelt. Die Bestrebungen, die Produktion in Europa auszubauen – befeuert durch den European Chips Act – sind ein wichtiger Schritt zur Reduzierung der Abhängigkeit von asiatischen Produktionsstätten.

    Worauf kommt es jetzt bei der Zusammenarbeit zwischen Automobilunternehmen und ihrem Lieferantennetzwerk an?

    Maximilian Krane: Die Erfahrung zeigt: Transparenz, Flexibilität und eine enge Kooperation sind heute wichtiger denn je. Ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen OEM, Tier-1 und Sublieferanten ist dabei entscheidend. Besonders die präzise Rückkopplung der Bedarfe vom Verbrauchermarkt bis zu den Produktionsplanungen der Sublieferanten erweist sich als Schlüsselfaktor. Darüber hinaus ist die gemeinsame Arbeit an Innovationen essenziell. Dies betrifft nicht nur die Entwicklung neuer Technologien, sondern auch die Optimierung von Produktionsprozessen und Lieferketten. Eine engere Zusammenarbeit in frühen Entwicklungsphasen hilft, potenzielle Engpässe frühzeitig zu erkennen und alternative Lösungen zu finden. Auch der Aufbau strategischer Partnerschaften zur gemeinsamen Nutzung von Ressourcen und Technologien gewinnt an Bedeutung, um Risiken zu minimieren und Effizienz zu steigern.

    In Zeiten der Unsicherheit, in denen wir uns aktuell befinden, bilden die genannten Aspekte natürlih eine beliebig schwierige Aufgabe. Daher ist es essenziell, sich mit alternativen Organisationsmethoden der Lieferkette auseinanderzusetzen. Ein Ansatz ist dabei „Komponentenlogistik as a Service“.

    Wie sieht Ihre Idealvorstellung „Komponentenlogistik as a Service“ aus?

    Maximilian Krane: Moderne Komponentenlogistik erfordert heute weit mehr als nur die physische Distribution von Bauteilen. Ein zeitgemäßes Konzept umfasst das gesamte Beschaffungsmanagement – von innovativem Forecast-Management (Anm. d. Red.: Forecast ist ein Instrument im Supply Chain Management und befasst sich mit der Vorhersage von Bedarfen) über effiziente Bedarfskonsolidierung bis zum direkten Einkauf beim (Halbleiter-)Hersteller und der gezielten Verteilung der Ware bis zum Sublieferanten.

    Die transparente Preisgestaltung ist dabei ein zentraler Aspekt: Der völlige Verzicht auf Handelsmargen ist fundamental – der Bauteilpreis wird eins zu eins weitergegeben. Die Dienstleistung wird unabhängig vom Warenwert und rein transaktionsbezogen berechnet, sodass der Auftraggeber nur für tatsächlich genutzte Services zahlt. Dies ermöglicht eine vollständige Kontrolle über die Lieferkette und schafft Vertrauen in die Zusammenarbeit. Kundenspezifische Lagerbestände zu schaffen, zählt dabei zu den elementaren Voraussetzungen. Jeder Auftraggeber erhält ein eigenes, exklusives Lager für maximale Versorgungssicherheit. Dies minimiert den Allokationsdruck (Anm. d. Red.: Allokation ist die Verteilung beziehungsweise Zuordnung knapper Ressourcen) und stellt sicher, dass die Produktion kontinuierlich läuft. Besonders in Zeiten anhaltender Knappheit bei Schlüsselkomponenten ist es wichtig, dass auch auf Weisung des Auftraggebers flexibel agiert werden kann.

    Darüber hinaus umfasst die ideale Umsetzung von „Komponentenlogistik as a Service“ nicht nur die zuverlässige Lieferung von Komponenten, sondern auch maßgeschneiderte Value Added Services. Value Added Service sind Dienstleistungen, die über das Kerngeschäft des Unternehmens hinausgehen. Beispiele sind produktionsvorbereitende Modifikationen der Komponenten bis zur Langzeitlagerung für After-Market-Bedarfe in zehn, 15 oder 20 Jahren. Diese integrierten Dienstleistungen ermöglichen es dem Auftraggeber, sich auf seine Kernkompetenzen zu konzentrieren, während die komplexen logistischen Anforderungen übernommen werden. Diese Idealvorstellung haben wir eins zu eins in unserem „tak-Modell“ umgesetzt – als ganzheitliche Lösung für alle Herausforderungen der Logistik für unsere Automotive-Kunden in Bezug auf elektronische und elektromechanische Komponenten.

    Was kann und sollte die Branche jetzt konkret verändern?

    Maximilian Krane: Die Branche sollte jetzt konkret auf Diversifizierung und Resilienz setzen. Im Bereich der Komponenten ist die Implementierung von Second-Source-Strategien unerlässlich, um die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern zu reduzieren – besonders angesichts der geopolitischen Spannungen. Diese strategische Neuausrichtung muss bereits in der frühen Entwicklungsphase der Steuergeräte beginnen.

    Ein weiterer wichtiger Schritt ist es, die Zusammenarbeit zwischen Automobilherstellern und Halbleiterproduzenten zu intensivieren. Langfristige Partnerschaften und strategische Investitionen in die Halbleiterproduktion können dazu beitragen, die Versorgungssicherheit zu verbessern.

    Wie ist eine Versorgungssicherheit in Zeiten vieler Umbrüche machbar?

    Maximilian Krane: In Zeiten vieler Umbrüche erfordert die Versorgungssicherheit ein proaktives Risikomanagement und flexible Lieferketten. Wir empfehlen unseren Kunden, größere Sicherheitsbestände aufzubauen und sich von der reinen Just-in-Time-Lieferung zu lösen. Zudem ist es wichtig, die gesamte Lieferkette bis zum Sublieferanten zu überwachen und bei Bedarf schnell reagieren zu können. Dabei ist „Komponentenlogistik as a Service“ ein wichtiger Baustein. Durch die Nutzung dieses Services lassen sich Sicherheitsbestände und Bedarfe intelligent konsolidieren. Das Ergebnis: optimierte Kosten bei gleichzeitig maximaler Versorgungssicherheit. Die Integration aller Stakeholder in ein gemeinsames System ermöglicht die frühzeitige Erkennung und Vermeidung potenzieller Engpässe.

    Welche Vorteile ergeben sich für den Markt und die Beteiligten?

    Maximilian Krane: Der Wandel hin zu transparenteren, agileren und effizienteren Lieferketten schafft messbare Vorteile für alle Beteiligten. Unternehmen gewinnen die Fähigkeit, Risiken besser zu managen, Kosten zu optimieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Die so wichtige Margenoptimierung, gerade im Bereich Automotive, ist ebenfalls ein positiver Effekt. Die gesamte Branche profitiert von einer erhöhten Resilienz gegenüber globalen Störungen.

    Durch verbesserte Prognosen und koordinierte Bestellungen können Überbestände vermieden und gleichzeitig Engpässe minimiert werden. Dies führt zu einer stabileren Preisgestaltung und reduziert die Volatilität im Markt. Für Tier-2 und Tier-3 Zulieferer bedeutet dies eine verbesserte Planungssicherheit und die Möglichkeit, ihre Produktionskapazitäten optimal auszulasten. Letztendlich profitiert die gesamte Wertschöpfungskette von einer erhöhten Effizienz und Resilienz.

    Möchten Sie noch einen wichtigen Aspekt ergänzen?

    Maximilian Krane: Ein oft unterschätzter Aspekt, den ich noch ergänzen möchte, ist die Nachhaltigkeit in der Lieferkette. Bei btv technologies setzen wir gezielt auf umweltfreundliche Lösungen – vom Recycling der Hilfsstoffe in unserer Produktion bis zur Zusammenarbeit mit klimaneutralen Transportunternehmen. So können wir zeigen, dass zentralisierte Ansätze in der Logistik nicht zwingend Nachteile für die Umwelt bedeuten müssen.

     

    Bildnachweis: Christian Lietzmann

    Logistik

    Sascha Gröbel

    Fachgebietsleiter