Mobility Innovation Summit 2025
„Mobilität und Transport sind nicht nur Standortvorteil, sondern auch Job-Motor“
Interview mit Prof. Dr.-Ing. Axel Hahn – er ist Direktor des Instituts Systems Engineering für zukünftige Mobilität am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) – über aktuelle Herausforderungen der deutschen Automobilindustrie beim automatisierten Fahren und Möglichkeiten, wie die Branche in dem Bereich technologisch führend bleiben kann
Interview mit Prof. Dr.-Ing. Axel Hahn – er ist Direktor des Instituts Systems Engineering für zukünftige Mobilität am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) – über aktuelle Herausforderungen der deutschen Automobilindustrie beim automatisierten Fahren und Möglichkeiten, wie die Branche in dem Bereich technologisch führend bleiben kann
Herr Prof. Hahn, in Ihrer Session haben Sie gemeinsam mit Steffen Müller (Bundesministerium für Digitales und Verkehr), Dr.-Ing. Sebastian Küchler (McKinsey & Company) und Dr. Volker Hartmann (Holon – Benteler) darüber gesprochen, wie die deutsche Automobilindustrie beim automatisierten Fahren führend bleiben kann. Wo sehen Sie die größten Handlungsschwerpunkte?
Hahn: Software und neue elektrische/elektronische (E/E-) Architekturen werden gerade aus Sicht des automatisierten Fahrens für das ganze Fahrzeug eine technologische Schlüsselrolle übernehmen. Aber auch für eine digitale Infrastruktur und weitere Schlüsseltechnologien wie eingebettete Künstliche Intelligenz und Absicherungsverfahren bedarf es einer Zusammenarbeit aller Akteure über den Automobilsektor hinaus. Außerdem müssen wir in Zeiten hybrider Angriffe und des Datenschutzes das Thema Cybersicherheit stärker adressieren.
Und letztlich können der Markt und die Branche auch durch Technologie- und Investitionsanreize weiterentwickelt werden. So könnten durch neue Funktionalitäten wie beispielsweise digitale Tickets im öffentlichen Personennahverkehr neue Anwendungen und damit auch Geschäftsmodelle entstehen.
Welche sind aus Ihrer Sicht die Treiber in der Entwicklung des automatisierten Fahrens?
Hahn: Neben der Umsetzung von Level 3-Funktionen für Pkw (Anm. d. Red.: siehe Erklärung der verschiedenen Level unter dem Text), gibt es insbesondere zwei Anwendungen, die ein hohes Potenzial und klare Geschäftsmodelle für automatisiertes Fahren auf Level 4 und 5 haben: als Erstes zu nennen ist der öffentliche Personennahverkehr als wichtiger Impulsgeber für innovative und gegebenenfalls disruptive Mobilitätsangebote. Dadurch wird beim ÖPNV das Nutzenpotenzial gesteigert, die Kosten des Verkehrssystems gesenkt und ein Beitrag zur Erfüllung der Mobilitätsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger geleistet.
Zum Zweiten der Güterverkehr, der nicht nur für unsere Volkswirtschaft eine hohe Bedeutung hat, sondern für den es auch durch Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen einen großen intrinsischen Anreiz für automatisiertes Fahren gibt.
Wo stößt die Technik für automatisiertes Fahren an ihre Grenzen?
Hahn: Ich würde es lieber Herausforderungen nennen – und da sehe ich drei funktionale sowie eine methodische. Erstens Kooperation: Systeme müssen miteinander und mit Menschen zusammenarbeiten. Für eine kooperative Systemgestaltung noch viel zu tun. Zweitens der Kontext: Die Welt ist nicht digital und sauber, sondern analog und oftmals „dreckig“. Damit ist gemeint, dass technische Systeme oft auch vermeintlich einfache Dinge oder Probleme nicht erkennen, beziehungsweise lösen können. Damit müssen wir umgehen, Risiken identifizieren und diese reduzieren. Automatisierte Systeme müssen ihre Umgebung und ihre Situation sauber erkennen können. Bei diesem Punkt herrscht noch erhebliches Potenzial.
Und schließlich und wahrscheinlich die Intelligenz: Künstliche Intelligenz hat gezeigt, welche funktionalen Möglichkeiten wir haben. Diese Möglichkeiten müssen wir weiterentwickeln, zum Beispiel in Bezug auf das Selbstlernen und dass online neue Lösungen möglich sind. Und: Es bedarf weiterhin Methoden und Werkzeuge, die Zuverlässigkeit, Sicherheit und Effizienzgewinne ausreichend schützen und damit zulassen, uns allen das Gefühl zu geben, dass wir in einem automatisiert fahrenden Fahrzeug gut aufgehoben sind.
Kein technischer Vorsprung ohne passende Rahmenbedingungen – welche technischen Vorschriften müssen angepasst werden, um die Weiterentwicklung des automatisierten Fahrens in Deutschland und Europa zu unterstützen?
Hahn: Konkret helfen wird eine Weiterentwicklung des Rechtsrahmens. Ein Beispiel: Gerade für den Probebetrieb und die Reallabore bedarf es einheitlicher und konkret ausformulierter Anforderungen. Vorteilhaft wären zum Beispiel einheitlich definierte Testverfahren für Genehmigungsprozesse. Es gilt grundsätzlich, die Praxistauglichkeit der Genehmigungsprozesse, Gesetze und Verordnungen zu stärken. Außerdem braucht es europaweit mehr Unterstützung bei der Zusammenarbeit im Güterverkehr, um neue Konzepte umsetzen zu können und den ÖPNV durch autonome Angebote zu fördern.
Möchten Sie noch einen wichtigen Aspekt ergänzen?
Hahn: Mobilität und Transport sind nicht nur für uns Bürgerinnen und Bürger wichtig, sondern auch für unsere Gesellschaft und die Wirtschaft. Die notwendigen Technologien müssen mit ihrer Wertschöpfung in Deutschland und Europa entwickelt und produziert werden. Es ist eine Riesenchance: Denn nutzenbringende Mobilität und Transport sind nicht nur ein Standortvorteil, sondern auch ein Job-Motor. Dazu muss es gelingen, nicht nur das Mobilitätssystem zu transformieren, sondern auch die Automobil- und Mobilitätswirtschaft – und zwar so, dass es weiterhin heißt: Wir sind Weltspitze. Dies ist unsere gemeinsame Aufgabe in einer Welt vieler Herausforderungen für OEMs und Zulieferer.
Hinweise der Redaktion:
Level 3 beschreibt das hochautomatisierte Fahren, bei dem das Auto unter bestimmten Einschränkungen selbstständig fahren kann, ohne dass ein menschlicher Eingriff erforderlich ist. Der Fahrer muss die Längs- und die Querführung des Fahrzeugs nicht mehr dauerhaft überwachen. Er muss jedoch dazu in der Lage sein, nach Aufforderung durch das System die Fahraufgabe wieder zu übernehmen.
Level 4 ist vollautomatisiertes Fahren, bei dem das Fahrzeug die komplette Fahraufgabe in spezifischen Anwendungsfällen übernimmt. Die Anwendungsfälle beinhalten den Straßentyp, den Geschwindigkeitsbereich und die Umfeldbedingungen. Die Fähigkeiten und Grenzen definieren den Betriebsbereich.
Bei Level 5 ist die Autonomie des Fahrzeugs nicht mehr an Bedingungen geknüpft. Im Gegensatz zu Level 4 agiert ein Level-5-Fahrzeug vollkommen autonom unter allen Bedingungen und überall.
Bildnachweis: VDA/Ch.Lietzmann/M.Schwarz
