Gastkommentar

    „Wir müssen führender Standort für Transformationstechnologien werden“

    Die Politik muss den Standort Deutschland mehr stärken. Nötig sind Energie- und Rohstoff-Partnerschaften, Handelsabkommen und Bürokratieabbau, fordert Hildegard Müller.

    Die Politik muss den Standort Deutschland mehr stärken. Nötig sind Energie- und Rohstoff-Partnerschaften, Handelsabkommen und Bürokratieabbau, fordert Hildegard Müller.

    Gastkommentar im Handelsblatt, veröffentlicht am 30.12.2022

    2022 war kein einfaches Jahr – Krieg, Krisen und Konflikte haben uns betroffen und besorgt zurückgelassen. Frieden, Freiheit und Wohlstand stehen vor neuen Herausforderungen.

    Verbraucherinnen und Verbraucher und auch der Mittelstand sind vielfach an den Grenzen der Belastbarkeit angelangt. Die Industrie ächzt inmitten der Transformation zur Klimaneutralität unter den zunehmenden Belastungen und Auflagen.

    Die geopolitischen Entwicklungen haben uns eindrucksvoll vor Augen geführt, dass unser bisheriges Wirtschaftsmodell kein automatischer Wohlstandsgarant mehr ist. Und: Die – ehrlicherweise schon lang bekannten – Schwächen des Standorts Europa wurden schonungslos offengelegt.

    Während ein internationaler, knallharter Standortwettbewerb begonnen hat, ist Deutschland nun – neben andauerndem Krisenmanagement – damit konfrontiert, dass Wirtschafts- und Geopolitik fortan noch stärker strategisch zusammengedacht und entwickelt werden müssen.

    Der hohe Industrieanteil in Deutschland ist eine große Chance

    Diese neue Realität spiegelt sich in den strategischen Entscheidungen aus Berlin noch nicht ausreichend wider. Für den stets betonten Anspruch, global mehr gestalten und Verantwortung übernehmen zu wollen, fehlt (noch immer) eine zwingend notwendige Erkenntnis: Wenn Deutschland mehr Verantwortung übernehmen und Werte sowie Überzeugungen in Sachen Klimaschutz international langfristig verankern will, dann funktioniert das nur als wichtige, weltweit führende Wirtschaftsnation.

    In anderen Worten: Nur wenn wir international relevant bleiben, werden wir auch künftig global politisches Gewicht haben – und können somit Vorbild für Klimaschutz und Werte sein. Entscheidend dabei: Diese Relevanz muss ermöglicht und vorangetrieben werden: Es braucht eine Politik, die die Stärken unserer Industrienation fördert, neue Märkte eröffnet, auf Innovationen setzt – und somit Wohlstand und Wachstum sichert.

    Porträtfoto von VDA-Präsidentin Hildegard MüllerPorträtfoto von VDA-Präsidentin Hildegard MüllerPorträtfoto von VDA-Präsidentin Hildegard MüllerPorträtfoto von VDA-Präsidentin Hildegard MüllerPorträtfoto von VDA-Präsidentin Hildegard Müller
    Eine nicht ideologiefreie Energiepolitik ist weltfremd und im Ergebnis für Menschen und Industrie zunehmend belastend.
    Hildegard MüllerPräsidentin des Verbands der Automobilindustrie

    Wo und warum braucht man Deutschland zukünftig in der Welt? Deutschland ist ein starkes Industrieland. Made-in-Germany-Produkte haben dank unserer einzigartigen Mittelstands- und Innovationskultur in Kombination mit industriellen Weltmarktführern über Jahrzehnte die weltweiten Standards gesetzt.

    Diesen hohen industriellen Anteil unserer Wirtschaft müssen wir als einzigartige Chance verstehen: Wir müssen führender Standort für Transformationstechnologien werden, nachhaltige sowie digitale Innovationen weiter vorantreiben und weltweit exportieren. Damit maximieren wir unseren Beitrag zum globalen Klimaschutz und erfinden das Exportmodell Deutschland neu.

    Um dieses Zukunftsbild zu realisieren, sind wir alle gefordert: Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Die Industrie bringt alles mit, was es dafür braucht: entschlossenes Bekenntnis zum Klimaschutz, Rekordinvestitionen in die Zukunft, Innovationen als Leitmotiv.

    Die Politik hemmt Ideenreichtum und Risikobereitschaft zunehmend

    Die Politik hat die Aufgabe, den Weg zum Erfolg zu ermöglichen, Rahmenbedingungen mit und nicht gegen die Industrie zu entwickeln. Standortpolitik muss dabei eine tragende Säule der gemeinsamen Strategie sein – denn maximale Wettbewerbsfähigkeit sichert neben Wohlstand auch Wirkung. Konkret: Um relevant zu bleiben, braucht es eine angebotsorientierte, marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik.

    Die von der Bundesregierung aktuell proklamierte langfristige Industriepolitik steht diesem Verständnis weitestgehend entgegen. Eine nicht ideologiefreie Energiepolitik ist weltfremd und im Ergebnis für Menschen und Industrie zunehmend belastend. Neben kurzfristiger Krisenpolitik fehlt hier eine langfristige strategische Absicherung.

    Auch die Chance, durch Energiepreisbremsen eine praktikable Übergangslösung zu finden, wurde durch bürokratische Hürden vertan. Und: Die Auffassung, Zukunft vorausschauen zu können und ihr nicht offen, sondern festgelegt – in einem engen Korsett aus Regeln und Verordnungen – zu begegnen, ist falsch, innovationshemmend und somit für unseren Wohlstand gefährlich.

    Fortschritt basiert auf Ideenreichtum und Risikobereitschaft – eine Mentalität, die zunehmend gehemmt statt gefördert wird. Fakt ist: Technologieoffene Innovationspolitik unter dem Leitgedanken des Klimaschutzes ist Grundbedingung für eine gemeinsame Erfolgsgeschichte.

    Um fit für eine erfolgreiche Zukunft zu sein, müssen Berlin und auch Brüssel dringend handeln: Unsere Energie- und Rohstoffversorgung muss mit Partnerschaften abgesichert und international müssen wettbewerbsfähige Preise garantiert werden.

    Handelsabkommen müssen viele Weltregionen abdecken. Unser Steuersystem muss konkurrenzfähig, unsere Genehmigungsverfahren digitaler, einfacher und schneller werden. Und: Belastungsmoratorien müssen umgesetzt, Bürokratieabbau Ampel-Maxime werden.

    Schaffen wir Standing durch Standort, Wirkung durch Wohlstand: Wirtschaftlich generierte Stärke ist das Kapital für globale Klima- und Geopolitik in unserem Sinne.