Gemeinsame Studie des VDA und der Strategieberatung Oliver Wyman
Automobilzulieferer: Neue Finanzierungshürden verschärfen die Krise
Die immer strengeren Kreditvergabe-Kriterien und gestiegene Zinsen bedrohen Automobilzulieferer existenziell – das zeigt eine gemeinsame Studie der Strategieberatung Oliver Wyman und des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Die notwendige kostenintensive Transformation hin zur Elektromobilität wird durch historisch niedrige Margen zusätzlich erschwert. Banken könnten die Lage verbessern, wenn sie den Automotive-Sektor differenzierter betrachteten.
Die Automobilindustrie befindet sich in der größten Transformation ihrer Geschichte. Die Umstellung von Verbrennungsmotoren auf alternative Antriebe, Digitalisierung und nachhaltige Produktion müssen zeitgleich erfolgreich gemeistert werden. Der Investitionsbedarf ist enorm, doch gestiegene Zinsen und strengere Vorgaben der Banken bei der Kreditvergabe erhöhen die Finanzierungskosten. Eine deutliche Mehrheit der befragten Automobilzulieferer ist davon bereits betroffen, wie die Studie mit dem Titel „Die nächste Hürde: Wie finanzieren Automobilzulieferer die Transformation?“ der Strategieberatung Oliver Wyman und des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zeigt. Zwei Drittel der befragten Zulieferer (66 Prozent) berichten von erschwerten oder deutlich erschwerten Zugängen zu Bankfinanzierungen in den vergangenen drei Jahren. „Der Anstieg der Finanzierungskosten trifft die Automobilzulieferer zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt“, sagt Dr. Maximilian Majic, Partner und Teil der Practice Restrukturierung der Strategieberatung Oliver Wyman. „Besonders die Transformation zur Elektromobilität erhöht den Kapitalbedarf massiv.“
„Die Zulieferindustrie und insbesondere die zahlreichen mittelständischen Unternehmen sind ein zentraler Faktor für eine erfolgreiche Transformation. In der Automobilzuliefererindustrie in Deutschland sind etwa 270.000 Menschen beschäftigt. Zudem wird eine Vielzahl der Innovationen und technologischen Fortschritte in der Automobilindustrie durch mittelständische Zulieferindustrie getrieben. Ein Rückgang der Produktion der Automobilzulieferer oder eine übermäßige Verlagerung ins Ausland hätte signifikante Auswirkungen auf den Standort Deutschland“, erläutert VDA-Geschäftsführer Andreas Rade.
Laut Umfrage wächst der Pessimismus: Acht von zehn befragten Automobilzulieferern berichten, dass sich die Stimmung in ihrem Unternehmen im Laufe des vergangenen Jahres verschlechtert hat. Die aktuelle Stimmungslage bewerten neun von zehn Befragten als negativ oder äußerst negativ. „Die Lage in der Automobilzuliefererindustrie ist höchst angespannt“, sagt Rade. Die Mehrheit der befragten Unternehmen berichtet von einer rückläufigen (43 Prozent) oder stagnierenden (21 Prozent) Profitabilität. Befragt wurden 74 hiesige Automobilzulieferer.
Differenzierung bei Kreditvergabe entscheidend
„Die steigenden Kreditkosten verschärfen die wachsenden finanziellen Engpässe“, erläutert Oliver Wyman-Experte Majic. „Es droht eine Zunahme der Insolvenzen im ohnehin krisengeschüttelten Automotive-Sektor.“ Besonders betroffen von der Verschlechterung der Finanzierungskonditionen sind laut Studie kleinere Zulieferer sowie Unternehmen, die sich im Besitz von Finanzinvestoren befinden und deshalb einen hohen Verschuldungsgrad aufweisen. Neben höheren Zinssätzen (88 Prozent) macht den Unternehmen besonders zu schaffen, dass die Banken umfangreichere Sicherheiten fordern (49 Prozent), bei den Vertragsbedingungen (Covenants) strengere Maßstäbe anlegen (45 Prozent) und die Laufzeiten der Kredite verkürzen (36 Prozent).
Das Verhältnis zwischen Banken und Automobilzulieferern hat sich laut der Umfrage verschlechtert. „Einige Unternehmen bemängeln fehlendes Vertrauen der Finanzierer oder berichten gar von einem Rückzug ihrer Hausbank“, sagt Majic. Eine Ursache dafür sieht der Oliver Wyman-Experte auch darin, dass nicht alle Kreditinstitute ausreichendes Verständnis für den Automotive-Sektor hätten. „Es wird zu viel über einen Kamm geschoren“, sagt Majic. „Doch es gibt nicht den einen Zulieferer – eine Differenzierung ist wichtig.“ Hier gelte es, für die Kreditinstitute, entsprechendes Know-how aufzubauen. Eine weitere Verschärfung der Kreditvergabe wird aufgrund der verstärkten Anwendung von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) erwartet. Laut Studie erwarten 72 Prozent der Automobilzulieferer, dass Nachhaltigkeits-Aspekte binnen zwei Jahren den Zugang zu Finanzierungen stark beeinflussen werden.
Politik muss Transformation besser unterstützen
Aus Sicht der Zulieferer sind die eigene strategische Ausrichtung (76 Prozent) sowie die Einhaltung von Finanzkennzahlen (72 Prozent) die wichtigsten Kriterien, um eine Bankfinanzierung zu erhalten. Hier sieht Majic noch Potenzial. „Ich gehe davon aus, dass die Zulieferer ihr Portfolio konsequent optimieren und sich von unprofitablen Produkten verabschieden müssen“, sagt er. „Eine zukunftsfähige und langfristige Strategie, die auch in zehn Jahren im Kern noch Bestand hat, ist das Fundament für eine erfolgreiche Finanzierung.“ Zugleich rät Majic, so weit wie möglich neue Optionen am Kapitalmarkt auszuloten. „Es bestehen Alternativen außerhalb der traditionellen deutschen Bankenlandschaft“, sagt er. Neben ausländischen Kreditgebern böten auch Unternehmensanleihen oder Darlehensfonds (Debt Funds) Potenzial. „Zulieferer mit einer überzeugend kommunizierten, zukunftsfähigen Transformationsstrategie erhalten leichter Kredite und schaffen es auch, neue Finanzierungsformen zu erschließen”, so Majic.
Entscheidende Bedeutung für die Zukunft der hiesigen Automobilzulieferer haben nach Ansicht von Rade die Bundesregierung und die EU-Kommission. „In Deutschland wie auch in Europa müssen wir gezielt an der Wettbewerbsfähigkeit arbeiten. Hohe Energiepreise, ein Übermaß an Regulierung, der Fach- und Arbeitskräftemangel sowie zunehmende Bürokratie sind nur einige der Belastungsfaktoren für die mittelständischen Unternehmen. Berlin und Brüssel müssen dringend investitionsfreundlichere Rahmenbedingungen schaffen, um insbesondere die mittelständische Zuliefererindustrie in der Transformation zu unterstützen“, so der VDA-Geschäftsführer.
Die Studie finden Sie hier: Automobilzulieferer & Finanzierung
Transformationsfinanzierung fördern
In einem heute ebenfalls veröffentlichten Positionspapier identifiziert der VDA die konkreten Lücken bei der Transformationsfinanzierung und gibt politische Handlungsempfehlungen, um diese Lücken zu schließen. Im Positionspapier finden sich daneben Empfehlungen für Maßnahmen, die die Banken und Sparkassen ergreifen können, um die Transformation im automobilen Mittelstand partnerschaftlich zu fördern. „Die mittelständischen Zulieferer müssen die Transformation weiter vorantreiben, ihre Strukturen den veränderten Finanzierungsbedingungen anpassen und ihre Finanzierungsquellen diversifizieren. Darüber hinaus sind dringend auch politische Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene sowie die notwendigen strukturpolitischen Instrumente erforderlich, um den Wandel in der Automobilindustrie zu unterstützen. Dafür machen wir mit unserem Positionspapier konkrete Vorschläge“, erläutert Rade.
Das VDA-Positionspapier „Transformationsfinanzierung fördern. Herausforderungen für den Mittelstand beim Zugang zu Kapital“ finden Sie hier: VDA-Mittelstandsforum: Transformationsfinanzierung fördern
Die vorliegende Studie verknüpft die Ergebnisse aus zwei von Oliver Wyman durchgeführten Umfragen, einem Oliver Wyman Financial Benchmarking unter 55 deutschen Zulieferern mit Marktdaten sowie Oliver Wyman Marktperspektiven aus Projekten mit Automobilzulieferern, OEMs und Banken. Sie stützt sich dabei insbesondere auf die Ergebnisse einer Umfrage unter 11 deutschen Banken, die im Zeitraum Juli und August 2023 durchgeführt wurde, sowie auf eine Umfrage unter 74 Automobilzulieferern im Oktober und November 2023. Die komplette Studie finden Sie hier: Automobilzulieferer & Finanzierung
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) vereint mehr als 650 Hersteller und Zulieferer unter einem Dach. Die Mitglieder entwickeln und produzieren Pkw und Lkw, Software, Anhänger, Aufbauten, Busse, Teile und Zubehör sowie immer neue Mobilitätsangebote. Wir sind die Interessenvertretung der Automobilindustrie und vertreten die Interessen unserer Mitglieder gegenüber Politik, Medien und gesellschaftlichen Gruppen. Wir stehen für eine moderne, zukunftsorientierte multimodale Mobilität auf dem Weg zur Klimaneutralität und arbeiten für Elektromobilität, klimaneutrale Antriebe, die Umsetzung der Klimaziele, Rohstoffsicherung, Digitalisierung und Vernetzung sowie German Engineering. Wir setzen uns dabei für einen wettbewerbsfähigen Wirtschafts- und Innovationsstandort ein. Unsere Industrie sichert Wohlstand in Deutschland: Rund 780.000 Menschen sind in Deutschland in der Automobilindustrie beschäftigt. Der VDA ist Veranstalter der größten internationalen Mobilitätsplattform IAA MOBILITY und der IAA TRANSPORTATION, der weltweit wichtigsten Plattform für die Zukunft der Nutzfahrzeugindustrie. Weitere Informationen finden Sie unter www.vda.de .
Oliver Wyman ist eine international führende Strategieberatung mit weltweit über 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in mehr als 70 Städten in 30 Ländern. Wir verbinden ausgeprägte Branchenexpertise mit hoher Methodenkompetenz bei Digitalisierung, Strategieentwicklung, Risikomanagement, Operations und Transformation. Wir schaffen einen Mehrwert für den Kunden, der seine Investitionen um ein Vielfaches übertrifft. Oliver Wyman ist ein Unternehmen von Marsh McLennan (NYSE: MMC). Unsere Finanzstärke ist die Basis für Stabilität, Wachstum und Innovationskraft. Weitere Informationen finden Sie unter www.oliverwyman.de. Folgen Sie Oliver Wyman auf LinkedIn, X, Facebook und Instagram.
Pressekontakt:
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