Prognos-Studie
Beschäftigung in der Automobilindustrie: Prognos-Studie zeigt tiefgreifenden Veränderungsprozess durch Transformation
Pressemitteilung
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Aktueller Trend: Transformation könnte etwa 190.000 Jobs bis 2035 kosten – Ein Viertel davon ist bereits entfallen – Standortpolitik muss Umwälzungen begleiten
Die Automobilindustrie befindet sich in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess. Neue Marktverhältnisse durch stärkeres Wachstum in anderen Weltregionen, die Transformation zur Elektromobilität, die Digitalisierung sowie wirtschaftspolitische Unsicherheiten prägen die aktuelle Situation*. Diese Entwicklungen haben deutliche Folgen für den Industriestandort Deutschland und die Beschäftigten in der Automobilindustrie. Die Effekte auf die Beschäftigung hat der VDA in einer umfangreichen Studie durch das Forschungsinstitut Prognos untersuchen lassen. Die Studie mit dem Titel „Beschäftigungsperspektiven in der Automobilindustrie“ zeigt, welche Veränderungen der Beschäftigung in den letzten Jahren bereits vollzogen sind und welche absehbaren Veränderungen noch auf die Automobilindustrie und ihre Beschäftigten zukommen. Dazu wurde die Entwicklung von 700 Berufen in der Automobilindustrie ausgewertet.
Durch die Elektrifizierung des Antriebsstrangs wird für die Herstellung von Fahrzeugen eine insgesamt niedrigere Beschäftigung benötigt als in der Vergangenheit. Zudem kommt es zu deutlichen Verschiebungen innerhalb der Beschäftigung. Dies sieht man in den Daten sehr deutlich. Überproportionale Jobverluste gab es bei den bisherigen Top-Jobs der Branche: Von den 10 größten Berufsgruppen in der Automobilindustrie zählen 7 zu denen mit den größten Jobverlusten seit 2019. Besonders Berufe in Maschinenbau- und Betriebstechnik sowie in der Metallbearbeitung haben an Relevanz verloren.
Zuwächse gab es dagegen bei Berufen in der Kraftfahrzeugtechnik, die vor allem bei den Herstellern angesiedelt sind, zudem bei Berufen in der technischen Forschung und Entwicklung sowie in der Informatik, der Elektrotechnik und der Softwareentwicklung. So ist zum Beispiel die Beschäftigung in IT-Berufen in der Automobilindustrie seit 2019 um etwa ein Viertel gestiegen und seit 2013 sogar um 85 Prozent.
Renteneintritte in den kommenden Jahren lösen das Problem nicht
Die Studie zeigt: Die Transformation ist längst nicht abgeschlossen, sondern in vollem Gange. Das gilt sowohl mit Blick auf die Beschäftigungsentwicklung allgemein als auch die Entwicklung in einzelnen Berufsgruppen.
Die Betrachtung der einzelnen Berufsgruppen verdeutlicht die unterschiedlichen Effekte der demografischen Entwicklung. Wie in der Gesamtwirtschaft geht auch in der Automobilindustrie etwa ein Viertel der Beschäftigten in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand. Während dies in einigen Berufsgruppen dazu führen kann, anstehende Veränderungen zu unterstützen, drohen in anderen Berufsfeldern erhebliche Engpässe, vor allem in der Elektrotechnik, Energietechnik und der IT.
Die Studie (S. 17 ff.) zeigt vier mögliche Kombinationen aus steigender oder abnehmender Bedeutung der Berufe und dem jeweiligen Angebot an Arbeitskräften, welches in Zukunft zur Verfügung steht. Die zentralen Erkenntnisse sind:
1. Steigende Relevanz, sinkendes Angebot: Problematisch aus Sicht der Fachkräftesicherung sind Berufe, bei denen die Bedeutung steigt (oder konstant bleibt), aber das Angebot an Arbeitskräften sinkt. Das sind Berufe in den Bereichen Maschinenbau und Betriebstechnik, Kunststoff- und Kautschukherstellung, Kunststoff- und Kautschukverarbeitung, IT-Netzwerktechnik, IT-Koordination, IT- Administration und IT-Organisation. Hier dürfte sich der Fachkräftemangel in Zukunft noch weiter verschärfen. In einigen Berufen mit steigender Relevanz bestehen bereits heute teilweise Engpässe. Dazu zählen vor allem Berufe im Bereich Mechatronik oder Informatik. Es zeigt sich außerdem, dass das Wachstum in anderen Bereichen, in denen eine Steigerung zu erwarten gewesen wäre, ausbleibt. Das gilt zum Beispiel für Berufe in der Kunststoff- und Kautschukherstellung. Die steigende Relevanz dieses Bereichs ist bislang in der Beschäftigung in Deutschland nicht sichtbar. Es darf angenommen werden, dass dies mit den hohen Energiepreisen in Deutschland zusammenhängt, die Kunststoffverarbeitung zählt zu den energieintensiven Wirtschaftszweigen.
2. Sinkende Relevanz, sinkendes Angebot: In anderen Berufen sinkt sowohl die Bedeutung des Berufs als auch das Angebot, was bedeutet, dass ein Teil des Personalabbaus möglicherweise durch Verrentungen erfolgen kann. Dies betrifft vor allem die Berufe wie Metallbau und Schweißtechnik oder Metallbearbeitung.
3. Steigende Relevanz, steigendes Angebot: In einigen Berufen, deren Bedeutung steigt (oder konstant bleibt), wird auch ein Anstieg des Angebots von Arbeitskräften erwartet. Aufgrund der günstigen Altersstruktur der in diesen Berufsgruppen beschäftigten Personen erreichen bis zum Jahr 2035 nur wenige das Renteneintrittsalter, gleichzeitig treten neue Nachwuchskräfte in den Arbeitsmarkt ein. Dies betrifft Berufe in der Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe.
4. Sinkende Relevanz, steigendes Angebot: In weiteren Berufen wird durch eine sinkende Bedeutung der Berufe und ein gleichzeitig steigendes Angebot ein Überangebot an Arbeitskräften entstehen. Abgesehen von der Technischen Forschung und Entwicklung sind davon insbesondere Berufe betroffen, die eher indirekt die Produktion betreffen und stattdessen die betriebswirtschaftliche Steuerung und Verwaltung der Unternehmen umfassen.
Im Ergebnis zeigt sich ein vielschichtiges Bild mit variierenden Entwicklungen je betrachtetem Beruf. Somit sind die bestehenden Herausforderungen komplex: Es geht nicht nur darum, dass Beschäftigung in der Automobilindustrie verloren geht, sondern auch darum, für relevanter werdende Beschäftigungsfelder Fachkräfte zu gewinnen. Dies geschieht u.a. auch Umschulungs- und Weiterbildungsangebote in den Unternehmen selbst. Diese helfen gleichzeitig, Beschäftigungseffekte zu dämpfen.
Die Studie zeigt übrigens ebenso, dass seit dem Jahr 2013 die Beschäftigung im Personalwesen um 36 Prozent gestiegen ist. Das deutet zum einen daraufhin, dass die Unternehmen Themen wie Fachkräftesicherung und Fachkräftegewinnung oder Vereinbarkeit von Familie und Beruf begegnen, ist nicht zuletzt aber auch der Entwicklung geschuldet, dass gesetzliche Vorschriften und regulatorische Anforderungen auch in diesem Bereich deutlich gestiegen sind.
Aktueller Trend: Transformation könnte etwa 190.000 Jobs bis 2035 kosten
Die Studie zeigt also, dass in der Branche große Anpassungen innerhalb der Belegschaften stattfinden: Die Schwerpunkte verschieben sich. Es ist auch deutlich zu sehen, dass viel Neues entsteht: Dem Rückgang der Beschäftigung seit 2019 von 75.000 Beschäftigten steht ein Zuwachs von 29.000 in anderen Bereichen gegenüber.
Den größten Rückgang gab es mit einem Minus von 8.900 Personen (-16 Prozent) bei Berufen in der Metallbearbeitung, die zum ganz überwiegenden Teil in der Zuliefererindustrie angesiedelt sind. Das größte Plus gab es mit 10.700 Personen oder +14 Prozent in Berufen der Kraftfahrzeugtechnik, die sich vor allem bei den Herstellern befinden.
Gleichwohl gilt, dass der Saldo der Beschäftigung negativ ist und sich wohl weiter negativ entwickeln wird: Setzt sich der zwischen den Jahren 2019 und 2023 eingesetzte Trend fort, so läge die Beschäftigung in der Automobilindustrie in Deutschland im Jahr 2035 um 186.000 Personen niedriger als im Jahr 2019, in dem nur wenige rein batterieelektrische Fahrzeuge gefertigt wurden. Hauptursache sind hier Transformationseffekte durch die Umstellung auf alternative Antriebe. 46.000 Arbeitsplätze – also etwa ein Viertel davon – sind in den Jahren 2019 bis 2023 bereits weggefallen, rund 140.000 weitere werden voraussichtlich bis zum Jahr 2035 entfallen. Mit Blick auf das tatsächliche Ausmaß besteht allerdings hohe Unsicherheit, denn zum einen kann der in einigen Bereichen bestehende oder sich bereits abzeichnende Fachkräftemangel das Wachstum von in Zukunft relevanter werdenden Bereichen dämpfen, zum anderen können die politischen Rahmenbedingungen den Trend gleichsam verstärken wie dämpfen.
VDA-Präsidentin Hildegard Müller: „Die Transformation unserer Industrie ist eine Mammutaufgabe. Die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie und ihre Beschäftigten leisten größte Anstrengungen, damit sie gelingt. Daran gibt es keinen Zweifel. Rund 280 Milliarden Euro investieren die deutschen Autohersteller und Automobilzulieferer weltweit zwischen 2024 und 2028 allein in den Bereich Forschung und Entwicklung, weitere rund 130 Milliarden Euro in den Umbau der Werke. Die Investitionen unterstreichen den Willen der deutschen Automobilindustrie die Transformation zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. Wir wollen den Wandel.
Klar – das zeigt auch unsere Studie einmal mehr – ist: Der Wandel hin zur Elektromobilität wird zu Beschäftigungsverlusten führen. Die geringere Beschäftigung ist zuallererst nicht Ausdruck einer Krise, sondern ein Teil der Transformation. Entscheidend ist aber, dass die politischen Rahmenbedingungen diesen Wandel unterstützen und begleiten. Die politischen Rahmenbedingungen entscheiden darüber, ob die Zukunftsinvestitionen am Standort Deutschland stattfinden, ob das Neue, das ansteht, hierzulande mit neuen Arbeitsplätzen entsteht oder woanders. Die Rahmenbedingungen können die Beschäftigungseffekte also verstärken oder dämpfen.
Ob Draghi-Report, BDI-Transformationsstudie oder internationale Rankings, in denen Deutschland durchgereicht wird, es wird immer deutlicher, dass es keinen Interpretationsspielraum mehr gibt: Europa – vor allem Deutschland – büßt im internationalen Vergleich immer mehr an internationaler Wettbewerbsfähigkeit ein. Der Strompreis liegt für deutsche Unternehmen bis zu dreimal höher als für internationale Wettbewerber z.B. aus den USA oder China. Deutschland ist ein Höchststeuerland und die bürokratischen Belastungen steigen immer weiter. Und auch Umfragen, die der VDA regelmäßig unter seinen Mitgliedern des automobilen Mittelstands (Herstellergruppen II und III) durchführt, zeigen die schwindende Wettbewerbsfähigkeit des Standortes. Hier zeigte sich zuletzt, dass immer mehr Unternehmen (82 Prozent) eigentlich geplante Investitionen in Deutschland verschieben, verlagern oder ganz streichen. So plant mehr als jedes dritte Unternehmen (37 Prozent) eine Investitionsverlagerung ins Ausland.
Fakt ist: Es braucht einen wettbewerbsfähigen Standort mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen, damit möglichst viel Wertschöpfung und Beschäftigung hierzulande bleibt bzw. neue Arbeitsplätze auch in Deutschland entstehen. Positive Standortsignale sind jetzt entscheidend, um zu zeigen, dass hier nicht nur die perfekte Vergangenheit war, sondern auch Neues entstehen kann. ,Konsequent Handeln´, muss die Devise lauten. Wettbewerbsfähige Energiepreise, weniger erdrückende Bürokratie, schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren, ein wettbewerbsfähiges Steuer- und Abgabensystem, mehr Freihandelsabkommen – die Liste ist lang, die Aufgaben drängen."
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Studie zeigt, welche beruflichen Bereiche an Relevanz verlieren – und das zeigt sich bereits jetzt deutlich. Ebenso lässt sich sagen, welche Berufe in Zukunft wichtiger werden, aber es bleibt mit Blick auf die politischen Rahmenbedingungen ungewiss, ob dieser Wandel auch am Standort Deutschland stattfinden kann. Es zeigt sich außerdem: Auch wenn die Branche mitten im Wandel steckt und ein Teil der Transformationseffekte auf die Beschäftigung bereits bewältigt ist, steht ein Großteil der Herausforderungen in Bezug auf den Standort noch bevor.
Die Studie „Beschäftigungsperspektiven in der Automobilindustrie“ steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.
* Während der Pkw-Weltmarkt das Vorkrisenniveau des Jahres 2019 nur noch knapp unterschreitet, sind der europäische sowie der US-amerikanische Absatzmarkt noch weit davon entfernt. So liegt in Europa (EU, EFTA, UK) das Marktvolumen von 2023 etwa 2 Mio. Einheiten niedriger als im Jahr 2019. In Deutschland wurden im Jahr 2023 15 Prozent weniger Pkw produziert als vor der Pandemie (2019).
Lag im Jahr 2019 der Markt-Anteil der rein batterieelektrisch betriebenen Fahrzeuge in Deutschland sowie im Weltmarkt bei etwa 2 Prozent, so stieg dieser bis 2023 auf 18 Prozent in Deutschland bzw. 13 Prozent auf dem Weltmarkt. Auch die Produktion am Standort Deutschland änderte sich: Der Anteil rein batterieelektrischer Fahrzeuge an der inländischen Pkw-Produktion lag im Jahr 2019 bei 2 Prozent, im Jahr 2023 lag er bei 23 Prozent.