Clean Industrial Deal markiert nicht Kurswechsel

    ‚Clean Industrial Deal‘ markiert nicht den zwingend notwendigen Kurswechsel: Klimaneutralität funktioniert nur als Geschäftsmodell mit einem maximal wettbewerbsfähigen Standort

    Berlin, 25. Februar 2025

    Europäische Kommission erkennt Handlungsbedarf für mehr Standortattraktivität – ‚Clean Industrial Deal‘ bleibt hinter den Notwendigkeiten zurück – grundsätzliche Abkehr vom Konzept der überbordenden Regulierung bleibt aus – Nachbesserungen dringend notwendig

    Die Europäische Kommission hat heute den ‚Clean Industrial Deal' (CID) vorgestellt. Ziel: Europa muss seine Dekarbonisierung weiter vorantreiben und dabei seine Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen.

    Das gilt insbesondere für wettbewerbsfähige Energiekosten, Rohstoffe, Kreislaufwirtschaft, Finanzierung der Transformation sowie das Abschließen von Freihandelsabkommen. „Es ist gut und wichtig, dass die Europäische Kommission den Handlungsbedarf endlich erkannt hat – und diesen mit dem CID entsprechend thematisiert“, sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller. „Auch der darin anklingende Ansatz, Klima und Wettbewerbsfähigkeit zusammenzudenken, ist grundsätzlich richtig. Leider werden aber wichtige Punkte zu vage, beziehungsweise gar nicht behandelt – oder sie weisen in eine falsche Richtung. Der ‚Clean Industrial Deal‘ lässt vielmehr erkennen, dass die Kommission an regulatorischen Instrumenten festhält, statt der Wirtschaft dringend notwendige Freiheiten zu geben.“

    Richtige Tendenzen, aber fehlende Konkretheit

    So adressiert die Kommission die hohen Energiepreise zwar explizit, unter anderem mit einem neu aufgelegten 'Affordable Energy Action Plan'. Die darin enthaltenen 'Power Purchase Agreements' und der Druck auf die Mitgliedstaaten, staatliche Preisbestandteile weiter zu verringern, sind Schritte in die richtige Richtung. Bei der Finanzierung und Umsetzung grenzüberschreitender Netzausbauprojekte bleibt der CID allerdings zu unkonkret. Das für 2026 geplante 'Grid Package' muss daher unbedingt verbindliche Maßnahmen zur Finanzierung und Umsetzung grenzüberschreitender Netzausbauprojekte enthalten. Ähnliches gilt für die Wasserstoffwirtschaft: Bis auf die Ankündigung, Kriterien für CO2-armen Wasserstoff zu verabschieden, fehlen in der Mitteilung leider auch hinreichende Vorschläge, die dem zuletzt ins Stocken geratenen Hochlauf neuen Schwung verleihen könnten. Dazu zählt, dass beim grünen Wasserstoff aus erneuerbarem Strom endlich pragmatische Anforderungen angewendet werden. Die aktuell geltenden Regelungen mobilisieren sektorübergreifend keine Investitionen und sollten deshalb schnellstmöglich überarbeitet werden. Darüber hinaus muss die 'European Hydrogen Bank' gestärkt werden, um eine verlässliche Finanzierung und Perspektiven für den Wasserstoffhochlauf zu gewährleisten. Nicht zuletzt muss die Kommission erheblich größere Anstrengungen unternehmen, die Energieimporte weiter zu diversifizieren und neue Energiepartnerschaften zu erschließen. Andernfalls droht Europa bei den Energiepreisen weiter den Anschluss zu verlieren.

    Es ist erfreulich, dass der CID eine schnelle Umsetzung des 'Critical Raw Material Acts' (CRMA) vorsieht. Die neu genannten Maßnahmen entsprechen dem 'Joint Purchasing Mechanism' aus dem CRMA und stellen somit keine neue industriepolitische Maßnahme dar. Doch gerade diese braucht es, um die Benchmarks zu erreichen. In dieser Hinsicht enttäuscht der CID.

    Auch beim Thema Kreislaufwirtschaft bleibt der CID hinter den Erfordernissen zurück. Aktuelle Gesetzesvorhaben der Kommission zur Kreislaufwirtschaft befördern nicht etwa die Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie – im Gegenteil. Hohe Rezyklateinsatzquoten, die aktuell vom Markt nicht gedeckt werden können, verpflichtende Demontagevorgaben von Bauteilen, für die es keine Nachfrage gibt, sind Kostentreiber und binden Kapital, was eigentlich für die Transformation benötigt wird.

    Nachbesserungen bei Beihilfen notwendig

    Die Transformation hin zur Klimaneutralität fordert von der Industrie höhere Investitionen als jemals zuvor. Es ist daher zu begrüßen, dass für den aktuellen Beihilferahmen (‚Temporary Crisis and Transition Framework‘, TCTF), der Ende 2025 ausläuft, eine bis 2030 laufende Anschlussregelung geschaffen wird. Nach den bisherigen Plänen soll es sich bei dem CID-Beihilferahmen inhaltlich aber weitgehend um eine Fortschreibung des TCTF handeln. Dieser berücksichtigt zwar "Batterien“, aber nicht "Wasserstofftechnologien, einschließlich Brennstoffzellen“ oder „Elektroantriebstechnologien und elektrische Ladetechnologien für den Verkehr", wie sie im Net Zero Industry Act, der seinerzeit als Ergänzung zum TCTF gedacht war, adressiert sind. Hier muss die Kommission dringend nachbessern.

    Europa muss Verfechter des Freihandels sein – Protektionismus ist nicht das richtige Instrument

    Beim Thema „Globale Märkte“ bekennt sich die Kommission zwar zu einem offenen und regelgebundenen Handel und strebt dabei explizit weitere Freihandelsabkommen an. Doch zugleich bringt sie mit Zollerhöhungen bei „unfairen Handelspraktiken“ und 'Local-Content'-Auflagen neue Instrumente ins Spiel, mit denen sie eine Neujustierung ihrer außenwirtschaftlichen Strategie ein Stück weiter weg von offenen Märkten und hin zu Schutzinstrumenten vorzunehmen scheint. Die angekündigte Ausweitung des CO2-Grenzausgleichsmechanismus auf weitere Produktgruppen ist in dieser Hinsicht ein fatales Signal.

    „Solche Instrumente können die global tätige Automobilindustrie beeinträchtigen. Daher dürfen handelspolitische Schutzmaßnahmen nicht für Protektionismus missbraucht, sondern allenfalls bei echten Marktverzerrungen in Abstimmung mit der betroffenen Industrie vorgenommen werden“, erklärt Müller. Andere Instrumente sind geeigneter, um auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren".

    Ganz besonders kritisch sind die Ausführungen zu grünen Leitmärkten: Bereits heute ist die Nachfrage der Automobilhersteller und -zulieferer nach ‚grünem‘ bzw. CO2-reduziertem Stahl sehr groß. Dennoch scheinen Quoten und Abnahmeverpflichtungen das Mittel der Wahl in der Kommission zu sein. Diese Strategie schlägt völlig fehl, da der Grund für die zu geringe Nutzung von ‚grünem‘ Stahl nicht etwa bei der Automobilindustrie als dessen Nachfrager, sondern bei der unzureichenden Angebotsmenge liegt. Aus diesem Grund lösen ordnungspolitische Instrumente wie Abnahmequoten bzw. materialspezifische Einsatzquoten das Problem nicht. Stattdessen würden die Kosten der Transformation einzelner Industrien so auf nachgelagerte Unternehmen abgewälzt – und das würde eine enorme zusätzliche Belastung bedeuten und am Ende auch die Produkte für die Verbraucherinnen und Verbraucher verteuern. Anstelle von Quoten sollten grüne Leitmärkte daher über angebotsorientierte Instrumente wie ‚Carbon Contracts for Difference‘ angereizt werden.

    „Die EU-Kommission muss noch an vielen Stellen ihr Programm nachbessern, da sich in manchen Bereichen ansonsten die derzeitige Wirtschaftskrise sogar noch verschärfen könnte. Dies gilt auch für den geplanten Ansatz zur Berechnung der ‚Product Carbon Footprints‘. Im aktuellen Vorschlag nimmt die Europäische Kommission den Unternehmen jeglichen Handlungsspielraum, sich mit der Beschaffung von Grünstrom von der CO2-Intensität des nationalen Energiegmix zu entkoppeln, was zu gravierenden Standortnachteilen bestehender Produktionsstandorte führt“, resümiert Müller.
     

    Sprecherin

    Lena Anzenhofer

    Schwerpunkt Digitalisierung, Produktion und Logistik