Handlungsbedarf für den Wirtschaftsstandort Deutschland

    Es besteht dringender Handlungsbedarf zur Stärkung des Standorts. Im Einzelnen:

    Fachkräftemangel bremst Wirtschaftswachstum & Transformation aus

    In sämtlichen europäischen Ländern stellt der Fachkräftemangel ein Problem für die Industrie dar, doch besonders stark betrifft er Deutschland. Dieser Mangel wird zu einem geschäftlichen Risiko für den deutschen Automobilstandort, wenn junge Menschen an der Zukunftsfähigkeit der Industrie zweifeln und sich daher für Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten in anderen Branchen entscheiden. Der Fachkräftemangel bremst nicht nur das Wachstum der Unternehmen, sondern auch deren Fähigkeit, die Transformation zu stemmen. Das Problem wird sich in den nächsten Jahren nochmals drastisch verschärfen, weil von jetzt an die gebur- tenstarken Jahrgänge nach und nach in den Ruhestand gehen und die nachfolgenden Generationen zahlenmäßig kleiner sind. Daher müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um den Fachkräftemangel zumindest abzumildern. Das beinhaltet die Aktivierung des noch unausgeschöpften inländischen Arbeitspotenzials, die Steigerung der qualifizierten Zuwanderung sowie die Förderung der innerbetrieblichen Fort- und Weiterbildung. Mit Letzterer werden diejenigen Beschäftigten, deren aktuelle Tätigkeiten von der Transformation betrof- fen sind, dabei unterstützt, sich die neuen Qualifikationen für die im Unternehmen neu entstehenden Stellen anzueignen. 

    Steuerbelastung der Unternehmen weltweit fast an der Spitze – Investitionsdämpfer statt Investitionsbooster

    In kaum einem anderen Land werden die Gewinne von Kapitalgesellschaften so hoch besteuert wie in Deutschland. Hierzulande beträgt die nominale Gesamtbelastung einer Kapitalgesellschaft 29,9 Prozent – bestehend aus Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag. In der EU ist die Belastung inzwischen nur noch in Malta höher, außerhalb der EU nur in Japan. Die hohe Steuerbelastung ist für die hiesigen Unternehmen nicht nur ein Nachteil im weltweiten Wettbewerb. Darüber hinaus verschlechtert sie auch deren Liquidität und schränkt somit den Spielraum für die Finanzierung der für die Transformation so wichtigen Investitionen ein – und das, obwohl Deutschland ohnehin schon seit Jahren an einer Investitionsschwäche leidet (s. o.). Daher ist es dringend erforderlich, die Steuerbelastung auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau abzusenken.
    Einen Beitrag zur Förderung von Investitionen hätte die im Koalitionsvertrag vorgesehene „Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter“ leisten können, die zunächst auch Gegenstand des Wachstumschancengesetzes war. Umso enttäuschender ist, dass die Verhandlungen zum Gesetz im Vermittlungsausschuss des Deutschen Bundetages dazu geführt haben, dass die Investitionsprämie gänzlich gestrichen wurde.

    Auch die mit dem Wachstumschancengesetz umgesetzten Pläne zur Verlustverrechnung springen zu kurz. Sie bieten den Unternehmen – gerade auch den automobilen Zulieferern – bei Weitem nicht die Flexibilisierung und Entlastung bei der Liquidität, die angesichts von Rezession und Transformation nötig gewesen wäre. Nicht zuletzt ist auch die Beschränkung der Wiedereinführung der degressiven Abschreibung für Abnutzung (AfA) für Wirtschaftsgüter auf neun Monate unzureichend. Die in Deutschland bestehende Investitionsschwäche lässt sich so nicht überwinden.

    Europäische Initiativen zur Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Transformationsfortschritt reichen noch nicht aus

    Die EU-Kommission hat im ersten Quartal 2023 ihren „Green Deal Industrial Plan“ vorgelegt. Kern dieses Plans sind ein neuer EU-Beihilferahmen, ein Entwurf für den sogenannten Net-Zero Industry Act sowie einer für einen sogenannten Critical Raw Materials Act. Der neue Beihilferahmen erlaubt den Mitgliedstaaten bis Ende 2025 erstmals auch Investitionen zu fördern, die der Schaffung von Produktionskapazitäten für „CO2-Netto-Null-Technologien“ dienen. Er wurde zum Zeitpunkt der Vorlage sofort rechtswirksam. Der „Net-Zero Industry Act“ soll ergänzend die Genehmigungszeiten für Anträge zum Neu- oder Ausbau derartiger Produktionskapazitäten verkürzen, indem er den Genehmigungsbehörden in den Mit- gliedsstaaten strenge Zeitvorgaben macht. Der „Net-Zero Industry Act“ wurde nach seiner Vorlage im Trilog-Verfahren verhandelt und im Frühjahr 2024 beschlossen und rechtskräftig. Der „Critical Raw Materials Act“ soll die Abhängigkeit der EU von Nicht-EU-Ländern beim Bezug kritischer Rohstoffe verringern, indem er klare Benchmarks für die Selbstversorgung mit strategischen Rohstoffen und das Recycling definiert. Nachdem die Kommission den "Critical Raw Materials Act" im März 2023 veröffentlicht hatte, konnten die Trilog-Verhandlungen im Rekordtempo bis November 2023 abgeschlossen werden. Mit den Initiativen zielt die EU auf dreierlei: Neben der Reduzierung strategischer Abhängigkeiten bei der Versorgung mit bestimmten Rohstoffen, Vor- und Endprodukten, geht es darum, den Transformationsfortschritt zu beschleunigen und die politisch induzierten Wettbewerbsnachteile der in der EU angesiedelten Unternehmen gegenüber dem EU-Ausland abzufedern. Dazu leisten diese EU-Initiativen einen notwendigen, aber noch nicht hinreichenden Beitrag.

    Mit dem „Green Deal Industrial Plan“ nimmt die Kommission eine Weiterentwicklung und Konkretisierung ihrer in der überarbeiteten Industriestrategie vom Mai 2021 skizzierten Pläne zur Unterstützung der Industrie auf ihrem Weg zur Klimaneutralität vor. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund der seitherigen politischen Ereignisse:
    Zum einen hat der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine noch einmal die in der Corona-Pandemie gewonnene Erkenntnis verstärkt, dass Lieferketten verwundbar sind und dass die Versorgung der Industrie mit Vorleistungsprodukten resilienter und auch gegen geopolitische Risiken abgesichert werden muss. Zum anderen haben auch andere Player wie die USA und China Klimaschutz und die Entwicklung sauberer Technologien in ihrer politischen Agenda deutlich höher priorisiert als bisher USA: Inflation Reduction Act - IRA (2022), China: Fünfjahresplan (2021 - 2025). Sie fordern mit staatlichen Investitionen, aber auch mit teils protektionistischen Maßnahmen auf diesem Gebiet die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie heraus – nicht zuletzt auch, indem wie im Fall des US-IRA mit seinen groß angelegten Förderprogrammen weltweit sehr offensiv um Investitionen geworben wird. 

    Neuer EU-Beihilferahmen

    Der neue Beihilferahmen der EU ist vor allem insofern ein Novum, als er den Mitgliedsstaaten die Gewährung von Beihilfen erstmals auch für die Produktion erlaubt. Bis dahin war die Förderung der Herstellung von Produkten, die in einem gegebenen Technologie- oder Qualitätsgrad bereits am Weltmarkt verfügbar sind, nicht möglich. Die EU-Kommission reagiert mit der Neufassung ihres Beihilferahmens ausdrücklich auch auf „ungleiche Wettbewerbsbedingungen durch Subventionen im Ausland“. Damit spielt sie auf den US-IRA an. Dieser wird in den nächsten zehn Jahren 369 Mrd. US-Dollar für Investitionen in den Klimaschutz bereitstellen, u. a. für die Umrüstung von Automobilwerken auf die Produktion sauberer Fahrzeuge. Für die in der EU angesiedelten Unternehmen wäre das ein klarer Wettbewerbsnachteil. Der neue EU-Beihilferahmen erlaubt den Mitgliedsstaaten daher die Förderung für den Neu- oder Ausbau von Produktionskapazitäten zur Herstellung verschiedenster „CO2-Netto-Null-Technologien“, darunter z. B. Batterien und Elektrolyseure (sowie auch für deren Vorprodukte und für die dazu erforderlichen Rohstoffe). Die Unternehmensinvestitionen können mit in der Regel 15 Prozent und einer maximalen Fördersumme von 150 Mio. Euro pro Unternehmen und Mitgliedsland gefördert werden. Höhere Förderquoten und -summen sind nur in ausgewiesenen EU-Fördergebieten möglich – hier in Einzelfällen dann aber sogar bis zu dem Betrag, der nötig ist, um die gleiche Förder- summe zu erreichen, die ein Staat außerhalb der EU einem Unternehmen für das gleiche Investitionsprojekt gewährt. So soll sichergestellt werden, dass Unternehmen, die Produktionskapazitäten für Transformationstechnologien neu auf- oder ausbauen wollen, dies innerhalb der EU tun.

    Der VDA befürwortet diese Neufassung des EU-Beihilferahmens im Grundsatz. Sie dient gleich mehreren Zielen – der Beseitigung von Wettbewerbsnachteilen und damit der Sicherung des Produktionsstandorts EU, der Beschleunigung der Transformation und der Verringerung strategischer Abhängigkeiten bei der Versorgung mit transformationsrelevanten Technologien.
    Der VDA hat beim neuen Beihilferahmen jedoch auch kritische Punkte gegenüber der EU-Kommission thematisiert. Das Hauptproblem liegt in seiner zeitlichen Befristung bis Ende 2025. Diese Befristung wird weder dem Ziel gerecht, die Transformation nachhaltig zu beschleunigen, noch die Kostenwettbewerbsnachteile nachhaltig abzudämpfen, die gegenüber Produktions- standorten außerhalb der EU bestehen. Schließlich dürfte der Investitionshochlauf für die transformationsrelevanten Sektoren in der EU bis 2025 bei Weitem noch nicht abgeschlossen sein. Nicht zuletzt war der neue Beihilferahmen außerdem als Antwort auf die neuen Fördermöglichkeiten in den USA im Rahmen des IRA gedacht. Dieser hat jedoch eine Laufzeit bis 2030. Der neue EU-Beihilferahmen bedarf also nach 2025 einer sinnvollen Anschlussregelung.
    Ein weiterer kritischer Punkt in dem aktuellen EU-Beihilferahmen ist, dass er die neuen Technologien, die für die CO2-Reduktion von Fahrzeugen unverzichtbar sind, gar nicht adressiert. Dazu gehören z. B. Brennstoffzellen, Elektromotoren, Permanentmagnete für Elektrofahrzeuge, aber auch elektronische Steuerungen, elektrische Achsantriebe, Wechselrichter, Umrichter, elektrisches Energiemanagement sowie Rohstoffzwischenprodukte, das heißt weiterverarbeitete Rohstoffe, die zur Herstellung der vorgenannten Komponenten dienen. Diese Technologien sollten bei der Entwicklung einer Anschlussregelung zum neuen Beihilferahmen Berücksichtigung finden.

    Anpassungsbedarf zeigt sich außerdem bei der Vorgabe, dass eine Überschreitung der Förderintensität von 15 Prozent und der maximalen Förderhöhe von 150 Mio. Euro pro Unternehmen und Mitgliedsstaat – offenbar aus regionalwirtschaftlichen Gründen – auf ausgewiesene EU-Fördergebiete beschränkt ist. Für die Hochskalierung der Transformationstechnologien in den heute bereits bestehenden EU-Industriezentren stehen diese höheren Fördermöglichkeiten nicht zur Verfügung, da diese in der Regel eben gerade nicht in besonders benachteiligten Regionen angesiedelt sind. Dies ist jedoch keine passende Antwort auf die aktuelle Herausforderung, dass Standortkonkurrenten der EU mit ihren industriepolitischen Agenden derzeit massiv um die Anziehung von Investitionen werben. 

    Net-Zero Industry Act

    Ergänzend zum neuen Beihilferahmen sorgt der „Net-Zero Industry Act“ für eine Genehmigungsbeschleunigung beim Aus- und Neubau von Anlagen für die Produktion bestimmter Technologien und deren Vorprodukte. Dazu gehören u. a. Batterietechnologien, Wasserstofftechnologien (einschließlich Elektrolyseuren und Brennstoffzellen), Stromnetztechnologien (einschließlich elektrischer Ladetechnologien für den Verkehr), nachhaltige Technologien für alternative Kraftstoffe, Technologien für erneuerbare Kraftstoffe nicht biologischen Ursprungs sowie Elektroantriebstechnologien für den Verkehr. Hier müssen die zuständigen Behörden vor Ort in den Mitgliedsstaaten über die Genehmigung künftig innerhalb von maximal 18 Monaten entscheiden. Das ist eine deutliche Beschleunigung der Prozesse, da Genehmigungsverfahren bislang mitunter mehrere Jahre gedauert haben. Der VDA hat den Entwurf des „Net-Zero Industry Act“ daher ausdrücklich begrüßt und für dessen zeitnahe Verabschiedung geworben.

    Critical Raw Materials Act

    Mit dem „Critical Raw Materials Act“ definiert die EU einen strategischen Plan, um die Abhängigkeiten bei der Versorgung mit kritischen Rohstoffen zu verringern. Dabei werden ambitionierte Benchmarks für die Selbstversorgung und Diversifizierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette strategischer Rohstoffe definiert, von der Mine über die Verarbeitung bis zum Recycling. Projekte entlang der Wertschöpfungskette strategischer Rohstoffe können sich als strategische Projekte bewerben und somit von schnelleren Genehmigungsprozessen profitieren: bei Bergbauprojekten maximal 27 Monate und bei Weiterverarbeitungs- und Recyclingprojekten maximal 15 Monate. Unternehmen, die große Mengen von strategischen Rohstoffen konsumieren, werden verpflichtet, Stresstests für ihre Lieferketten durchzuführen, um das Risiko von Abhängigkeiten besser einschätzen zu können. Zusätzlich soll das Recycling von Dauermagneten erleichtert werden. Inverkehrbringer von Produkten mit Dauermagneten werden verpflichtet, Informationen zur chemischen Zusammensetzung, Lokalisierung und Anbringung der Magnete über einen Datenträger zur Verfügung zu stellen.
    Der VDA begrüßt die Intention des „Critical Raw Materials Act“, jedoch werden zentrale Probleme der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung nicht adressiert. Sofern die hohen Energiekosten und die Finanzierung von Bergbauprojekten nicht mit konkreten Maßnahmen angegangen werden, können die Benchmarks nicht erreicht werden. Die Forderung des VDA nach einer europäischen Agentur für strategische Rohstoffprojekte bleibt von der Regelung genauso unbeachtet wie die Einrichtung eines Rohstofffonds zur Finanzierung der identifizierten strategischen Rohstoffprojekte.