Technische Vorschriften

    Diese Anforderungen an die Sicherheit müssen Fahrzeuge erfüllen

    Die Anforderungen an die Sicherheitssysteme sind so komplex wie potenzielle Gefahrensituationen im Verkehr. Im NCAP ist geregelt, welche Standards ein Fahrzeug erfüllen muss.

    Die Anforderungen an die Sicherheitssysteme sind so komplex wie potenzielle Gefahrensituationen im Verkehr. Im NCAP ist geregelt, welche Standards ein Fahrzeug erfüllen muss.

    Das NCAP-Programm

    Das European New Car Assessment Programme (Euro NCAP) ist ein verbraucherschutzorientiertes Programm zur Bewertung der Sicherheit von Personenkraftwagen. Es wird von einem Konsortium aus europäischen Verkehrsministerien, Automobilclubs, Versicherungsverbänden und Forschungsinstituten getragen. Stand 2020 gibt es vierzehn Mitglieder aus unterschiedlichen europäischen Staaten.

    Dazu zählen unter anderem Vereine/Verbände wie der ADAC, die FiA und der GDV, aber auch Ministerien wie das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur aus Deutschland oder das Department for Transport aus Großbritannien. Seit 1997 hat sich Euro NCAP für Hersteller und Verbraucher zum wesentlichen Bewertungsmaßstab für die Fahrzeugsicherheit entwickelt. Die Ergebnisse werden veröffentlicht und ermöglichen es den Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich schnell und umfassend über die Fahrzeugsicherheit eines Autos zu informieren. Die Darstellung in Form einer Sternebewertung (Bestnote: fünf Sterne) ermöglicht zudem eine schnelle Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Fahrzeugen.

    Die Anforderungen werden seit der Einführung stetig weiterentwickelt. Beschränkte man sich zu Beginn noch auf die passive Sicherheit – also darauf, die Unfallfolgen für Insassen und Fußgänger zu minimieren –, wurden mit der Zeit immer mehr Elemente der aktiven Sicherheit (Maßnahmen zur Unfallvermeidung) in die Bewertung mit aufgenommen. Damit folgt Euro NCAP der allgemeinen Entwicklung, dass neue Systeme, die Insassen und Fußgänger aktiv schützen, immer wichtiger werden. So wird ein Fahrzeug aktuell in den folgenden Kategorien bewertet:

    • Erwachseneninsassenschutz
    • Kindersicherheit
    • Ungeschützte Verkehrsteilnehmer (Fußgänger und Radfahrer)
    • Assistenzsysteme

    Für die Bewertung werden in der Regel Fahrzeugvarianten mit serienmäßiger Sicherheitsausstattung herangezogen. Optionale Technologien werden in zusätzlichen Tests nur geprüft, wenn davon auszugehen ist, dass diese in kurzer Zeit eine große Relevanz für das Feld aufweisen.

    Ein Teil der Bewertung zielt demzufolge weiterhin auf die passive Sicherheit ab. Es werden verschiedene Unfallszenarien untersucht, bei denen man zwischen Frontal-, Seiten- und Heckaufprall unterscheidet. Diese erfordern jeweils unterschiedliche Schutzmaßnahmen für die Insassen. Um die Sicherheit für Insassen von verschiedener Größe und verschiedenem Gewicht zu gewährleisten, werden derzeit sechs Unfallsituationen geprüft.

    Sicherheitsanforderungen für den Fall eines frontalen Aufpralls

    Eine besonders häufige Unfallkonstellation ist der Frontalaufprall von zwei Fahrzeugen. Dabei treffen diese zumeist versetzt aufeinander, was besondere Anforderungen an die Knautschzone der Fahrzeuge stellt. In diesem Fall muss eine Seite der Fahrzeugfront allein dazu in der Lage sein, die Geschwindigkeit des Fahrzeugs auf moderatem Niveau abzubauen. Dieses Szenario wird bei Euro NCAP schon seit 1997 geprüft. Hat man hier in der Vergangenheit jedoch das Fahrzeug gegen eine örtlich fixierte Barriere gefahren, wird seit 2020 mit einer beweglichen Barriere gearbeitet. Der Vorteil bei diesem Verfahren ist, dass nun auch Rückschlüsse auf die „Kompatibilität“ zu anderen Fahrzeugen gezogen werden können.

    Gilt ein Fahrzeug als kompatibel, dann gehen von ihm im Idealfall keine zusätzlichen Gefahren für den Unfallgegner aus. Weist ein Fahrzeug jedoch besonders steife Strukturen und eine hohe Masse auf, dann wird dieses zunehmend inkompatibel und die bei einem Unfall freigesetzte Energie muss verstärkt vom Unfallgegner aufgenommen werden.

    Bei diesem Test befinden sich zwei 50-Prozent-Dummys auf den vorderen Sitzplätzen. Sie repräsentieren in ihrem Körperbau einen durchschnittlichen erwachsenen Mann und messen eine Vielzahl von Signalen wie Beschleunigungen, Kräfte und Momente, aus denen dann das Verletzungsrisiko ermittelt wird. Im Fond wird das Schutzniveau für zwei Kinder-Dummys ermittelt. Diese entsprechen Kindern im Alter von sechs beziehungsweise zehn Jahren und befinden sich in geeigneten Kindersitzen.

    Die richtige Steifigkeit: Ein Balanceakt

    Um für die Insassen bei dem beschriebenen Test ein gutes Schutzniveau darzustellen, sollte das Fahrzeug in der Frontstruktur gewisse Steifigkeiten aufweisen. Sind diese jedoch besonders steif, kann das zu erhöhten Belastungen, vor allem bei der Brustkompression, bei kleineren, leichteren Insassen führen. In der Folge können daraus Verletzungen der Organe resultieren.

    Aus diesem Grund wurde der Aufprall auf ein starres, unverformbares Hindernis über die gesamte Fahrzeugbreite als ein neuer Test eingeführt. Bei diesem Test befinden sich kleinere, leichtere Insassen, abgebildet durch sogenannte 50-Prozent-Dummys, auf dem Fahrersitz und auf der Rücksitzbank. Die Anforderungen aus dem Test mit der beweglichen Barriere und gegen die starre Wand sind also in gewisser Weise konträr und sorgen für eine ausbalancierte Frontstruktur beziehungsweise Insassenschutzsysteme, die ein größtmögliches Schutzpotenzial für Insassen unterschiedlicher Statur ermöglichen sollen.

    Schutzpotenzial von allen Seiten bemessen

    Neben den Anforderungen für einen Frontalaufprall wird auch die seitliche Kollision geprüft. Dazu werden derzeit zwei verschiedene Crashtests angewendet. So wird zum einen der Aufprall einer fahrbaren Barriere mit einem Deformationselement auf die Fahrzeugseite nachgestellt. Dies entspricht einem typischen Fahrzeug-Fahrzeug-Szenario, wie es beispielsweise an Kreuzungen vorkommen kann. Zum anderen wird ein seitlicher Pfahlaufprall getestet. Dies entspricht dem Aufprall auf beispielsweise einen Baum infolge eines Kontrollverlusts über das Fahrzeug. Aufgrund der geringen Aufprallfläche kann es dabei zu besonders hohen Intrusionen in den Innenraum kommen, was wiederum erhöhte Anforderungen an die Schutzsysteme stellt. Bei beiden Tests befindet sich ein 50-Prozent-Dummy auf dem Fahrersitz. Beim Barrieretest befinden sich außerdem zwei Kinder-Dummys (entsprechen sechs und zehn Jahren) in geeigneten Kindersitzen im Fahrzeugfond.

    Eine Neuerung aus dem Jahr 2020 ist die Betrachtung des Gefährdungspotenzials für Insassen, die nicht auf der Unfallseite sitzen. Kommt es beispielsweise an einer Kreuzung zum Aufprall eines anderen Fahrzeugs auf die Beifahrerseite, bewegt sich der Fahrer in Richtung der Aufprallseite und kann dann möglicherweise ungeschützt auf den Innenraum oder den Beifahrer treffen. Jedes Fahrzeug, unabhängig davon, ob ein zusätzliches Schutzsystem verbaut ist, wird auf die seitliche Bewegung eines Insassen in einem zusätzlichen Test geprüft. Fällt diese moderat aus und sind auch die vom Dummy gemessenen Belastungen tolerabel, kann das Fahrzeug auch ohne zusätzliche Systeme die volle Punktzahl erreichen. Ist jedoch ein weiterer Airbag verbaut, zum Beispiel zur Reduktion der Belastungen an Kopf und Nacken, wird beim Pfahlaufpralltest (zunächst ist auch der Barrieretest noch möglich) ein zusätzlicher 50-Prozent-Dummy auf der Beifahrerseite eingesetzt und so das Schutzpotenzial ermittelt.

    Auffahrunfall: Der Aufprall aufs Heck

    Als letztes Szenario wird noch der Heckaufprall untersucht. Auch wenn hier selten tödliche Verletzungen entstehen, können Schleudertraumata bei den Betroffenen für langwierige Behandlungen und Beschwerden sorgen. Es werden neben einer geometrischen Bewertung der Kopfstütze zwei dynamische Tests durchgeführt und die Belastungswerte an einem speziell für diese Situation konzipierten Dummy gemessen.

    Bei einigen der beschriebenen Tests werden geeignete Kindersitze mit den entsprechenden Kinder-Dummys getestet. Bei den verschiedenen Unfallszenarien wird das jeweilige Schutzpotenzial ermittelt und geht in die Bewertung mit ein. Darüber hinaus wird beurteilt, wie gut Kindersitze im Fahrzeug installiert werden können. Dabei sind möglichst einfache, kundengerechte Lösungen als Ziel definiert. Hintergrund dieser Anforderung ist, dass Kinder zu oft in Kindersitzen nicht korrekt gesichert werden, wodurch deren volles Schutzpotenzial bei einem Unfall nicht entfaltet werden kann.

    Neben dem Insassenschutz spielt auch die Gefährdung von ungeschützten Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern eine wichtige Rolle. Bei der Bewertung des Fußgängerschutzes werden zwei Beinprüfkörper eingesetzt, die die physische Beschaffenheit und Verletzbarkeit des menschlichen Beins wiedergeben können. Stellt der eine Prüfkörper vor allem den Oberschenkelbereich dar, bildet der andere den Unterschenkel und das Knie ab. Das Hauptaugenmerk wird auf den Schutz vor übermäßigen Bänderdehnungen und Biegungen im Kniebereich gelegt. Die Hersteller berücksichtigen dies vor allem bei der Konstruktion des Frontbereichs neuer Fahrzeuge.

    Als weitere Anforderung an die Fahrzeuge werden Tests zum Kopfaufprall durchgeführt. Auch hier gibt es zwei unterschiedliche Prüfkörper: Einer bildet in Gewicht und Größe einen Kinderkopf ab, der andere stellt einen typischen Erwachsenenkopf dar. Für die Bewertung des Kopfanpralls werden mehrere Messpunkte auf der Motorhaube, der A-Säule und der Windschutzscheibe berücksichtigt. Die Hersteller nutzen verschiedene konstruktive Lösungen, zum Beispiel Außenairbags, aufstellbare Motorhauben oder mehr freie Deformationsräume unter der Motorhaube, um andere Verkehrsteilnehmer bestmöglich zu schützen.

    Aktive Sicherheit: Systeme zur Unfallvermeidung

    Darüber hinaus werden seit 2016 Anforderungen gestellt, einen Unfall rechtzeitig zu erkennen und zum Beispiel durch eine Notbremsung zu vermeiden (aktive Sicherheit). Für einige Szenarien ist auch der Einsatz einer autonomen Notfalllenkung möglich. Durch das System darf jedoch keine weitere Gefährdung entstehen. Die betrachteten Szenarien werden dabei stetig weiterentwickelt und zunehmend komplexer. So werden verschiedene Konstellationen mit Fußgängern (Kinder und Erwachsene) vor dem Fahrzeug bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen und unterschiedlichen Relativgeschwindigkeiten zueinander geprüft.

    Seit 2020 wird auch die Rückwärtsfahrt adressiert. Hier setzt das Fahrzeug zurück, während sich ein Erwachsenen-Dummy entweder hinter das Fahrzeug bewegt oder dort bereits steht. Ziel ist auch hier, einen Kontakt durch rechtzeitiges Bremsen zu vermeiden. Auch wird seit 2020 der Abbiegevorgang untersucht. Dabei biegt das zu prüfende Fahrzeug an einer Kreuzung ab, während ein Fußgänger die Straße überquert, in die das Fahrzeug einbiegt. Dabei wird sowohl das Rechts- wie auch das Linksabbiegen untersucht. Das Notbremssystem für Radfahrer wurde erst im Jahr 2018 eingeführt, aber 2020 schon erweitert. Dabei gibt es seit Einführung zwei Szenarien, bei denen sich das Fahrzeug an einen vorausfahrenden Radfahrer annähert, und eines, bei dem der Radfahrer die Straße von rechts kommend quert. Das Queren wurde 2020 erweitert. Dabei muss nun zum einen auch ein Radfahrer erkannt werden, der hinter einem parkenden Fahrzeug hervorkommt. Zum anderen soll auch ein Radfahrer rechtzeitig detektiert werden, der mit etwas höherer Geschwindigkeit von links kommt.

    Ähnliche Tests werden auch mit zwei Fahrzeugen durchgeführt. Zum einen muss hier das Auffahren auf ein stehendes, ein fahrendes und ein bremsendes Fahrzeug bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten vermieden werden. Zum anderen wird seit 2020 ebenfalls eine Abbiegesituation geprüft. Dabei soll das zu testende Fahrzeug nach links abbiegen und kreuzt dabei die Fahrbahn eines entgegenkommenden Dummy-Fahrzeugs. Auch hier werden unterschiedliche Relativgeschwindigkeiten untersucht.

    Spur- und Geschwindigkeitsassistenten

    Der Spurassistent stellt ein weiteres Bewertungskriterium dar. Es wird differenziert zwischen Systemen, die lediglich eine Warnung geben beim Verlassen der Spur, Systemen, die die Spur halten, und Notfall-Spurassistenten. Letztere werden in ganz unterschiedlichen Situationen geprüft, zum Teil auch bei fehlenden Fahrbahnmarkierungen, bei entgegenkommenden oder überholenden Fahrzeugen, und greifen für den Fahrer deutlich spürbarer ein, da bei einem Eingriff bereits eine kritische Situation vorliegt.

    Ein wichtiger Aspekt bei der Verkehrssicherheit ist außerdem die Geschwindigkeit. Um den Fahrer zu unterstützen und ein bestimmtes Tempo nicht zu überschreiten, werden Geschwindigkeitsassistenten hinsichtlich ihrer Funktion bewertet. Wie auch bei anderen Systemen gibt es hier eine Unterteilung zwischen solchen, die eine Information an den Fahrer geben und/oder beim Überschreiten einer zuvor eingestellten Geschwindigkeit warnen, und solchen, die das Tempo anhand der zulässigen Höchstgeschwindigkeit begrenzen.

    Weitere Assistenzsysteme zielen auf den Zustand der Insassen ab. 2020 kam es auch hier zu Anpassungen bei der Bewertung. Neben dem Gurttragen auf den Rücksitzen (inklusive Insassenerkennung) wird auch die Müdigkeit/Aufmerksamkeit des Fahrers beobachtet. Solche Systeme arbeiten entweder über Kameras oder indirekt über die Analyse des Fahrverhaltens.

    Wenn es trotz allem passiert ist: Anforderungen an die passive Sicherheit

    Die Integration von Systemen der aktiven und passiven Sicherheit in ein Fahrzeug wird künftig dazu führen, dass Unfälle immer häufiger vermieden oder abgemildert werden können. Ein aktiver Brems- oder Lenkeingriff kann beispielsweise die Kollisionsgeschwindigkeit reduzieren und so die Unfallschwere mindern. Daher ist es folgerichtig, dass Euro NCAP diese technologischen Entwicklungen stärker berücksichtigt.

    Es wird aber auch weiterhin Situationen geben, in denen Unfälle nicht vermieden werden können. In diesen Fällen greifen die Maßnahmen der passiven Sicherheit, um die Insassen bestmöglich zu schützen. Kommt es dennoch zu schweren Verletzungen, ist Zeit ein entscheidender Faktor. Moderne Fahrzeuge setzen dafür einen Emergency-Call (eCall) ab, eine automatische Meldung über einen Unfall. Hier bewertet Euro NCAP seit 2020, ob die wahrscheinliche Anzahl der Insassen und die letzten Positionen des Fahrzeugs ebenfalls übermittelt werden.

    Am Unfallort müssen die Rettungskräfte schnellstmöglich mit Informationen versorgt werden, um die Bergung der Insassen effektiv zu gestalten. Seit 2020 geht daher die Beurteilung der Rettungskarte in die Euro-NCAP-Gesamtbewertung ein. Außerdem werden diverse Anforderungen geprüft, die eine Bergung der Insassen erleichtern sollen. Als Beispiel seien hier unter anderem die aufzubringenden Kräfte, um Türen und Gurtschlösser nach dem Unfall zu öffnen, genannt. Auch das Vorhandensein einer Multikollisionsbremse wird entsprechend honoriert.

    Im Jahr 2020 kam es zu mehreren Änderungen bei bestehenden Tests und auch zur Einführung eines neuen Seitenaufprall-Szenarios. Um weiterhin die Maximalbewertung von fünf Sternen zu erzielen, sind nun deutlich erhöhte Anforderungen zu erfüllen. Aber auch die nun existierenden Bewertungen werden in Zukunft weiter verschärft, um die Sicherheit für Insassen und andere Verkehrsteilnehmer weiter zu erhöhen. Zusätzlich sollen in den kommenden Jahren neue Systeme wie V2X, also die Kommunikation eines Fahrzeugs mit anderen Fahrzeugen oder der Infrastruktur, bewertet werden, da auch hier ein Potenzial gesehen wird, Unfälle zu vermeiden oder ihre Folgen abzumildern. Die nächste Überarbeitung der Anforderungen ist für 2023 geplant.

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    Andreas Perl

    Referent Sicherheit, passive Sicherheit und Versicherungsanforderungen

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