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Standort Deutschland verliert an internationaler Wettbewerbsfähigkeit
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Wie wir Wettbewerbsfähigkeit sichern
Deutschlands Wirtschaftsleistung ist im Jahr 2023 um 0,3 Prozent geschrumpft. Damit war Deutschland unter den 20 weltweit größten Volkswirtschaften die einzige mit einer schrumpfenden Wirtschaft – abgesehen vom Sonderfall Saudi-Arabien, dessen Wirtschaftsleistung nur deswegen zurückgegangen ist, weil es die Ölförderung zur Stabilisierung des Ölpreises bewusst gedrosselt hatte. Teilweise lässt sich das schlechte Wirtschaftsergebnis auf konjunkturellen Gegenwind zurückführen: Der inländische Konsum wurde 2023 vor allem durch die hohe Inflationsrate von rund 6 Prozent belastet, der ein gleich hoher Nominallohnzuwachs gegenüberstand, sodass die Reallöhne quasi konstant geblieben sind.
Deutschlands Wirtschaftsleistung ist im Jahr 2023 um 0,3 Prozent geschrumpft. Damit war Deutschland unter den 20 weltweit größten Volkswirtschaften die einzige mit einer schrumpfenden Wirtschaft – abgesehen vom Sonderfall Saudi-Arabien, dessen Wirtschaftsleistung nur deswegen zurückgegangen ist, weil es die Ölförderung zur Stabilisierung des Ölpreises bewusst gedrosselt hatte. Teilweise lässt sich das schlechte Wirtschaftsergebnis auf konjunkturellen Gegenwind zurückführen: Der inländische Konsum wurde 2023 vor allem durch die hohe Inflationsrate von rund 6 Prozent belastet, der ein gleich hoher Nominallohnzuwachs gegenüberstand, sodass die Reallöhne quasi konstant geblieben sind.
Hinzu kam ein stark eingetrübtes außenwirtschaftliches Umfeld: Die weltweite geldpolitische Straffung hat schwer auf der Investitionsnachfrage gelastet. Zudem ist die chinesische Wirtschaft deutlich langsamer gewachsen, als dies nach Beendigung der chinesischen Null-Covid-Politik zu erwarten gewesen wäre. Ein großer Teil der wirtschaftlichen Probleme ist jedoch hausgemacht und nicht auf den Einfluss der aktuellen Weltkonjunktur zurückzuführen.
Die folgende Abbildung zeigt, dass die Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland seit 2018 nicht mehr gewachsen ist.
Dies ist – zumindest bislang – noch keine Deindustrialisierung in dem Sinne, dass die industrielle Bruttowertschöpfung rückgängig wäre. Es zeigt aber deutlich, dass Deutschland mit seinem verarbeitenden Gewerbe immer weiter hinter den EU-Durchschnitt zurückfällt. Offensichtlich hat Deutschland zunehmend ein Standortproblem. Dafür spricht auch die stetige Verschlechterung Deutschlands im internationalen Standortranking. Zum Beispiel hat sich die Platzierung Deutschlands auf dem Index des World Competitiveness Center seit 2019 von Platz 17 auf Platz 22 im Vergleich mit 64 Ländern verschlechtert. Beim ZEWLänderindex der Familienunternehmen fiel Deutschland im Vergleich mit 21 Industriestaaten von Platz 14 (2018) auf Platz 18 (2022).
Nicht zuletzt könnte auch der deutliche Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland in den Jahren 2020 bis 2023 von 138,9 Mrd. Euro auf 21,9 Mrd. Euro ein Indiz für eine sich verschlechternde Standortattraktivität sein. Das Gleiche gilt für die schwache Entwicklung der Anlageinvestitionen im Inland allgemein. Diese haben sich in Deutschland seit dem Niveau kurz vor der Corona-Krise schwächer entwickelt als in wichtigen Vergleichsländern wie Großbritannien, Japan oder den USA. Eine Investitionsschwäche lässt sich nicht nur als Misstrauensvotum gegenüber dem Standort und seinen Wachstumsaussichten verstehen. Sie verschlechtert eben auch genau diese künftigen Wachstumsperspektiven, weil der volkswirtschaftliche Kapitalstock, quasi die Substanz der Wirtschaft, nicht ausreichend modernisiert wird und damit keine ausreichenden Produktivitätsgewinne realisiert werden können. Das ist umso kritischer, wenn man bedenkt, dass die ökologische Transformation in den nächsten zwei Jahrzehnten noch einmal einen zusätzlichen Investitionsbedarf erfordert, weil das Produktionssystem nicht nur wie bisher eine wachsende Gütermenge produzieren soll, sondern gleichzeitig auch weniger CO2 ausstoßen darf.
Handlungsbedarf am Standort Deutschland: kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat im Oktober 2023 eine Nationale Industriestrategie vorgelegt. Sie skizziert den aus Sicht des Ministeriums bestehenden Handlungsbedarf der deutschen Politik zur Verbesserung der Standortbedingungen und der Resilienz so wie zur Unterstützung der Transformation. Positiv hervorzuheben ist, dass die Analyse der aktuellen Herausforderungen zutreffend und umfassend ist und auch die Schwächen des Industriestandorts Deutschland ehrlich und ungeschönt benennt. Auch die Richtung des Strategieansatzes stimmt:
Es geht zuvörderst um die Stärkung des Standorts. Darüber hinaus gilt es, strategische Abhängigkeiten abzubauen. Zu begrüßen ist auch, dass die Strategie sich an vielen Stellen klar zu dem Erfordernis bekennt, die Industrie in diesem „Brückenjahrzehnt“ unter bestimmten Bedingungen auch fördern zu müssen, ohne Dauersubventionen zu schaffen. Diese Förderung trägt sowohl dazu bei, die Transformation zu unterstützen als auch strategische Abhängigkeiten und Wettbewerbsnachteile abzubauen. Im Detail zeigt die Strategie aber auch Mängel. Vor allem rekurriert sie sehr stark auf das, was bereits in der ersten Hälfte der Legislaturperiode umgesetzt beziehungsweise in die Wege geleitet wurde. Gänzlich neue Vorschläge finden sich nur wenig. Zudem gibt die Strategie keine Antworten auf wichtige Fragen, obwohl sie diese ausdrücklich anspricht: Es wird zwar klar festgestellt, dass Deutschland einen der weltweit höchsten Unternehmenssteuersätze hat. Geschlossen wird daraus aber – nichts.
Auch spricht sie die 2030er-Ziele der Bundesregierung von 15 Mio. Elektro-Pkw im Bestand und von 1 Mio. öffentlich zugänglicher Ladesäulen an, formuliert aber keinerlei Maßnahmen zur Zielerreichung. Tatsächlich hat die Bundesregierung mit ihrer Kürzung und der schließlich im Zuge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts beschlossenen Streichung der Umweltprämie sogar selbst eine Vollbremsung beim E-Autohochlauf herbeigeführt. Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. November 2023 entschieden, dass das Gesetz über den zweiten Nachtragshaushalt 2021 verfassungswidrig ist. Die Bundesregierung steht in der Folge des Urteils und angesichts hoher Investitionsbedarfe für Infrastruktur und Transformation vor der enormen Herausforderungen, künftig verfassungskonforme Haushalte aufzustellen. Der VDA bringt sich über den BDI konstruktiv in diese laufenden Debatten ein. Neben einem Verzicht auf Steuererhöhungen ist zunächst eine umfassende Ausgabenkritik im regulären Bundeshaushalt geboten. Bei längerfristigen Investitionsbedarfen für die Transformation kann es zudem sinnvoll sein, weitergehende Optionen im Rahmen der Schuldenbremse zu prüfen.
Die VDA-Umfragen zeigen, welche Maßnahmen am dringendsten erforderlich sind, um den Standort zu stärken
In den regelmäßigen Befragungen, die der VDA unter seinen mittelständischen Mitgliedsunternehmen durchführt, geben diese als größte Belastungen für die Unternehmen der Automobilindustrie in Deutschland den „Bürokratieaufwand“, die „Stromkosten“, die „Steuerbelastung“ sowie den „Fachkräftemangel“ an.
Entwicklung der Kosten für Rohmaterialien und Energie sowie Arbeitskosten
Es besteht dringender Handlungsbedarf zur Stärkung des Standorts. Im Einzelnen:
Strompreise nicht wettbewerbsfähig
Die Bundesregierung hat in der ersten Hälfte der Legislaturperiode Maßnahmen ergriffen, um den hohen Energiepreisen entgegenzusteuern – zunächst durch die Übernahme der EEG-Finanzierung in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) seit Ende 2022. Darüber hinaus hat sie im November 2023 das sogenannte Strompreispaket beschlossen. Positiv daran ist, dass durch die Stromsteuerabsenkung auf EU-Mindestwert für das produzierenden Gewerbe eine Entlastung in der Breite der Unternehmen erfolgt, sodass auch der Mittelstand profitiert. Negativ ist allerdings der Wegfall des staatliche Zuschusses zu den Stromübertragungsnetzentgelten für Strom ab dem Jahr 2024. In der Summe dürften die Stromkosten für die Industrie damit weiter steigen. Dabei war der Strompreis für die Industrie bereits 2023 viel höher als in den meisten wichtigen Wettbewerbsländern (Abb. untenstehend „Industriestrompreise sind in Deutschland besonders hoch“). Es ist davon auszugehen, dass dieser Wettbewerbsnachteil, insbesondere für die mittelständische Automobilindustrie, weiterhin bestehen bleibt. Dies wird auch durch das von der Boston Consulting Group (BCG) Gutachten im Auftrag des BDI zum Thema Strompreisentwicklung bestätigt.
Die überhöhte Bürokratiebelastung führt zu außergewöhnlich langen Genehmigungszeiten
Die Belastung der Unternehmen mit bürokratischen Anforderungen hat im Laufe der Jahre trotz der Einführung der Bürokratiebremse „One in, one out“ und von immerhin drei Bürokratieentlastungsgesetzen weiter zugenommen. Immer mehr Regulierung durch mehr Berichtspflichten spiegeln ein Misstrauen der Regierung in marktwirtschaftliche Prozesse wider. Die Unternehmen der Automobil- und Zulieferindustrie beklagen die dadurch entstehenden Kapazitätsverluste und hohen Kosten. Laut Jahresbericht 2023 des Normenkontrollrats betrugen die Bürokratiekosten für die Wirtschaft allein 65 Mrd. Euro – Geld, das die Unternehmen nicht investieren können. Zudem seien Genehmigungsprozesse für Investitionsvorhaben oft zeitaufwendig und kompliziert und es mangele vor allem an digitalen Lösungen. Nicht zuletzt wird damit auch die Realisierung von transformationswichtigen Investitionsvorhaben unnötig verzögert. Dabei müsste gerade dieser Hebel zur Standortverbesserung für die Politik von Interesse sein, da er mit keinerlei Kosten verbunden ist. Die Bundesregierung will dem Problem mit zwei Initiativen begegnen: Mit dem Verfahren der „Praxis-Checks“ sollen bei Bürokratiebelastung und Genehmigungsverfahren im Zusammenspiel von Gesetzgebung, Vollzug und Unternehmen Hemmnisse und Lösungsansätze für einzelne Fallkonstellationen identifiziert werden. Damit greift die Bundesregierung bzw. bislang allein das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) einen seit Längerem vorgetragenen Vorschlag der Wirtschaft auf, der eine Einbeziehung der Unternehmen allerdings nicht erst bei bestehenden, sondern auch schon bei geplanten Gesetzen vorsieht. Durch die Einbeziehung der unternehmerischen Expertise können die Bürokratiekosten besser abgeschätzt und praxisnähere Lösungen entwickelt werden. Der VDA hat sich in gemeinsamen Workshops mit dem BMWK und Mitgliedern an der ersten Runde der „Praxis-Checks“ beteiligt. Es ist zu begrüßen, dass das BMWK bereits angekündigt hat, das Instrument fortzuführen und auf weitere Bereiche (z. B. Nachhaltigkeitsberichterstattung, Datenschutz) ausweiten zu wollen. Zum anderen hat die Bundesregierung ein Viertes Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg gebracht. Leider ist der vorgesehene Abbau von Melde- und Informationspflichten hinter den Erfordernissen und auch hinter den Ankündigungen der Bundesregierung auf ihrer Klausur in Meseberg von August 2023 zurückgeblieben. Er ist nicht der große Befreiungsschlag, der jetzt nötig wäre, um die Unternehmen zu entlasten, und wird auch kaum einen Beitrag leisten, um die Attraktivität des Standorts Deutschland erkennbar zu verbessern.
Der VDA hat sich am Konsultationsprozess zum Vierten Bürokratieentlastungsgesetz konstruktiv beteiligt und zudem verschiedene Ergänzungsvorschläge in das Verfahren eingebracht.